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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Peeters, Jozef: Die flämische Kunst der Avantgarde
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Seuphor, Michel: Die jüngste Literatur in Flandern
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0012

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Einfluss ausüben und einen kleinen Unter-
schied zwischen unserer konstruktiven und
der südeuropäischen, russischen und chine-
sischen Plastik ergeben. Es gibt aber
keinen Unterschied, der weiter reicht
als eine persönliche Betonung, die dem
selbst gekommenen Drang zum Konstruk-
tivismus (der keine internationale Über-
einkunft war) durchaus nicht Abbruch tut.
Die Kunst evolutioniert nicht. Wohl aber
ändert sich der Standpunkt des Geniessers
und meistens der des Künstlers ihr gegen-
über. Nun ist es vielleicht nicht ohne
Interesse, zu erfahren, wie sich diese
Evolution in Flandern entwickelte. Was
unsere Propagandamittel waren und sind.
Unsere Generation saugte den Impressio-
nismus ein. Impressionismus war ein Ge-
meingut, von dessen Art man sich in
Belgien, dem Land der Nachfolge, keine
Rechenschaft mehr ablegte. Er gab jedem
freie Bahn, seine Torheiten zu kultivieren.
So entstanden bei den Jüngeren im Jahre
1911 aus dem Bedürfnis nach Monumen-
talität kurz gehaltene Umrisse in Malerei
und Bildhauerei. Wir standen sofort in
einem wirklichkeitsvolleren Verhältnis
zur Fläche und Materie, worauf und womit
wir bilden sollten. Es entstand nicht
eine Erneuerung des Romantismus sondern
ein zweiter Romantismus. Im sozialen
Leben äusserte sich dieses Erwachen in
einem Bedürfnis zum religiösen Leben
nach einer Periode von Positivismus und
Demokratie. Als nun das flämische Volk
in dieser Zeit zu einem frei denkenden
Volke ward, entvogte sich auch der
Künstler und befreite sich von früheren
Bildungsgewohnheiten.
Während der deutschen Besetzung machte
man Bekanntschaft mit dem populari-
sierten Expressionismus. Einige plagi-
ierende Impressionisten wussten ihm, sehr
nachteilig für sich selbst, nachzuahmen.
Andere wussten die breitere, in der
Fremde gewonnene Einsicht persönlich
zu verwerten. Eine Gruppierung wurde
notwendig und sie kam unter dem Namen
,,Moderne Kunst“ nach Beendigung des
Krieges zustande.
Die ersten Ausstellungen im Jahre 1920
waren eine Offenbarung.
Verschiedene Künstler, in diesem Heft der
Zeitschrift „Der Sturm“ durch Werke
vergegenwärtigt, waren unter den Mani-
festanten,

„Moderne Kunst“ blieb der einzige Orga-
nismus in Flandern, der es mit der Avant-
garde Ernst nahm. Die Monatsschrift
„Ruimte“ (Raum) erschien unter Leitung
des Literaten Eugeen De Bock. Schon
im Jahre 1920 sah man die Erwünscht-
heit eines Kongresses ein, der durch die
Initiative des Baukünstlers Huib Hoste, des
Baukunstkritikers Leonard und des Unter-
zeichneten abgehalten wurde. Ein zweiter
Kongress mit internationaler Ausstellung
der extremen Avant-garde-Kunst folgte
im Januar 1922. Ein dritter in Brügge
im August 1923 im Zusammenhang mit
den flämischen wissenschaftlichen Kon-
gressen, die jedes Jahr in einer anderen
Stadt Flanderns abgehalten, flämische und
holländische Gelehrte zu Tausenden zu-
sammenbringen. Unsere Kongresse haben
nicht das ausschliessliche Ziel, Fach-
leute zu Wortstreiten zu reizen, sie
wollen im Geiste der Vorträge der Ge-
sellschaft „Moderne Kunst“ gehalten,
aber in vitalerer Weise, das Publikum
unterrichten und einweihen. Unser jüng-
stes und sehr gelungenes Propaganda-
mittel, das über unsere Grenze hinaus-
reicht, ist die Monatsschrift „Het Over-
zicht“ (Der Überblick) vom Schriftsteller
F. Berckelaers und mir herausgegeben.
Unsere Schrift ist die flämische Tribüne
der extremen Avant-garde der ganzen
Welt. Unser jetziges ästhetisches Ziel
näher zu um schreiben, wäre eine nutzlose
Arbeit, da verschiedene Abbildungen hier
veröffentlicht hinreichend für sich selbst
zeugen. Jozef Peeters


Die jüngste Literatur in Flandern
Das Zentrum des flämisch-literarischen
Lebens, das vor einem halben Jahrhundert,
beim Erwachen unseres Volksbewusst-
seins, mit Gezelle Rodenbach und Verriest
in den kleinen Städten und Dörfern der
Provinz West-Vlaanderen lag und mit
Teirlinck, Van de Woestijne und andern,
um ihre Zeitschrift „Van Nu en Straks“,
seit 1880 nach Gent und Brüssel überging,
dieses Zentrum wurde durch den Krieg mit
einem Mal in Antwerpen errichtet. Hier
schuf das frische Blut des seperatistischen
Aktivismus eine neue Heimat für künst-
lerische Werktätigkeit.
Man las Dostojewsky, Nietzsche, Walt
Whitman, Romain Rolland und tja Apolli-
naire! Viele studierten deutsch. — Einen
 
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