den Handelsgewinn aus und das Essen
wird so billig, dass es gezahlt werden
kann. Leute, die viel Geld übrig haben,
geben das nötige Betriebskapital. Oder
wenn sie es nicht geben, wird cs ihnen
revolutionär genommen. Und zwar mit
der Hand der Geliebten, der alle alles
geben. Nun verzichtet man auf die Büro-
kratie, die sich beim Essen nie recht
betätigen kann, kocht aber dafür mit
Geschmack. Dadurch schmeckt es den
Menschen und sie brauchen sich beim
Essen keine Gedanken über Ideale oder
Probleme zu machen. Und damit sie es
bestimmt nicht tun, steht jeden Tag auf
jedem Tisch eine frische Blume.
Hierzu sind keine Vereine gegründet,
keine Sammlungen durch Verlage einge-
leitet, keine Sitzungen abgehalten, keine
Pläne, Broschüren oder Flugblätter
herausgegeben. Hierzu ist nur diese eine
Frau, Eugenie Schwarzwald, nach Berlin
gekommen, hat unbrauchbare Räume
brauchb -gemacht, hat unerfassbareGelder
erfasst,-* hat angeordnet, dass Köche
Lebens' ’ittel verwenden, hat die Gäste
gebeten, zu essen und die Kellnerinnen,
zu bedienen, hat den Tisch gedeckt und
die Blumen geordnet. Und tausende von
Menschen sind glücklich. Weil sie als
Menschen essen können und weil sie wie
Menschen essen können. Lind diese
Wirtin tut nichts als den Gästen für
ihren Besuch zu danken.
Das ist die Tat der Eugenie Schwarz-
wald.
Im Handel und Reden dieser Zeit die Tat.
Herwarth Walden
Reflektorisches Lichtspiel
Am 2. April werde ich im „Sturm“ 4 Kom*
Positionen des reflectorischen Lichtspieles zeigen.
Das reflektorische Lichtspiel ist eine Synthese
von Bewegung, Licht, Farbe, Form. Technischer
Wille dabei ist — ökonomisch, mechanische
Bewegung durch die Hand des Menschen selbst
als Faktor für selbsttätige, gesetjgemäh Optik
mit Hilfe von elektrischen — handbewegten —
Lichtquellen — so entsteht Verbindung von
Bewegung und Licht. Auswechselbare Färb«
scheiben von Glas — vor der Lichtquelle ergeben
die Einheit von Bewegung, Licht, Farbe. Die
gesamte Synthese von Bewegung, Licht, Farbe,
Form entsteht endlich durch Strahlen der Licht*
quellen — farbig und handbewegt — hindurch
durch herausgeschnittene Formelemente einer
Pappwand — kontrapunktisch organisiert. Diese
Synthese wird als Komposition auf der Leinwand
sichtbar. Das reflectorische Lichtspiel vollzieht
sich in den Bezirken des Raumes und der Zeit.
Eine Lichtspielkomposition ist in ihrem Ablauf
nicht zufällig, sondern durch Bewegungsnoten
festgelegt.
Kurt Schwerdtfeger
Expressionnisme et Humorisme
Offener Brief an Herrn Dominique Braga
Collaborateur de la Revue de Geneve
In der Revue de Geneve vom November
1923 schreiben Sie auf Seite 599:
«L’Expressionnisme allemand peut etre
considere comme une maniere d’humo-
risme desespere, exacerbe.»
Wie, zum Teufel, kommen Sie auf diese
Idee? Qui est-ce qui vous a raconte cette
blague? Es muss sich um ein Missver-
ständnis handeln. On vous a sans doute
monte un bäteau et fait croire que les
«Fliegende Blätter» etaient un organe de
l’expressionnisme allemand. Was schrei-
ben Sie denn noch ?
La farce macabre oü il sombre souvent
resulte des paroxysmes oü le porte cette
Sensation de neant, de mortclle amertume
que l’artiste sent partout.
Ich verstehe immer weniger von dem, was
Sie schreiben, sehr geehrter Herr Domi-
nique Braga. II est possible que vous
soyez un lecteur assidu du «Simplizissi-
mus» et que vous croyiez que cette revue
illustree mene le mouvement expression-
niste. Und was schreiben Sie denn noch?
Carl Sternheim, qui . . .
O, mein Herr, jetzt fangen Sie an, mich
zu interessieren. Je suis intrigue, je suis
tout oreille, je me demande, comment
vous pouvez sauter d’un bond de l’ex-
pressionnisme allemand ä Carl Sternheim.
Voyons ce que vous ecrivez encore?
Carl Sternheim, qui, lui, est maitre de
ces exces, reussit ä courir sur une ligne
ideale, sur une corde raide qui traverse
le monde un peu ä cöte de son centre
de gravite.
En voilä une revelation! Das habe ich
bis auf den heutigen Tag nicht gewusst.
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wird so billig, dass es gezahlt werden
kann. Leute, die viel Geld übrig haben,
geben das nötige Betriebskapital. Oder
wenn sie es nicht geben, wird cs ihnen
revolutionär genommen. Und zwar mit
der Hand der Geliebten, der alle alles
geben. Nun verzichtet man auf die Büro-
kratie, die sich beim Essen nie recht
betätigen kann, kocht aber dafür mit
Geschmack. Dadurch schmeckt es den
Menschen und sie brauchen sich beim
Essen keine Gedanken über Ideale oder
Probleme zu machen. Und damit sie es
bestimmt nicht tun, steht jeden Tag auf
jedem Tisch eine frische Blume.
Hierzu sind keine Vereine gegründet,
keine Sammlungen durch Verlage einge-
leitet, keine Sitzungen abgehalten, keine
Pläne, Broschüren oder Flugblätter
herausgegeben. Hierzu ist nur diese eine
Frau, Eugenie Schwarzwald, nach Berlin
gekommen, hat unbrauchbare Räume
brauchb -gemacht, hat unerfassbareGelder
erfasst,-* hat angeordnet, dass Köche
Lebens' ’ittel verwenden, hat die Gäste
gebeten, zu essen und die Kellnerinnen,
zu bedienen, hat den Tisch gedeckt und
die Blumen geordnet. Und tausende von
Menschen sind glücklich. Weil sie als
Menschen essen können und weil sie wie
Menschen essen können. Lind diese
Wirtin tut nichts als den Gästen für
ihren Besuch zu danken.
Das ist die Tat der Eugenie Schwarz-
wald.
Im Handel und Reden dieser Zeit die Tat.
Herwarth Walden
Reflektorisches Lichtspiel
Am 2. April werde ich im „Sturm“ 4 Kom*
Positionen des reflectorischen Lichtspieles zeigen.
Das reflektorische Lichtspiel ist eine Synthese
von Bewegung, Licht, Farbe, Form. Technischer
Wille dabei ist — ökonomisch, mechanische
Bewegung durch die Hand des Menschen selbst
als Faktor für selbsttätige, gesetjgemäh Optik
mit Hilfe von elektrischen — handbewegten —
Lichtquellen — so entsteht Verbindung von
Bewegung und Licht. Auswechselbare Färb«
scheiben von Glas — vor der Lichtquelle ergeben
die Einheit von Bewegung, Licht, Farbe. Die
gesamte Synthese von Bewegung, Licht, Farbe,
Form entsteht endlich durch Strahlen der Licht*
quellen — farbig und handbewegt — hindurch
durch herausgeschnittene Formelemente einer
Pappwand — kontrapunktisch organisiert. Diese
Synthese wird als Komposition auf der Leinwand
sichtbar. Das reflectorische Lichtspiel vollzieht
sich in den Bezirken des Raumes und der Zeit.
Eine Lichtspielkomposition ist in ihrem Ablauf
nicht zufällig, sondern durch Bewegungsnoten
festgelegt.
Kurt Schwerdtfeger
Expressionnisme et Humorisme
Offener Brief an Herrn Dominique Braga
Collaborateur de la Revue de Geneve
In der Revue de Geneve vom November
1923 schreiben Sie auf Seite 599:
«L’Expressionnisme allemand peut etre
considere comme une maniere d’humo-
risme desespere, exacerbe.»
Wie, zum Teufel, kommen Sie auf diese
Idee? Qui est-ce qui vous a raconte cette
blague? Es muss sich um ein Missver-
ständnis handeln. On vous a sans doute
monte un bäteau et fait croire que les
«Fliegende Blätter» etaient un organe de
l’expressionnisme allemand. Was schrei-
ben Sie denn noch ?
La farce macabre oü il sombre souvent
resulte des paroxysmes oü le porte cette
Sensation de neant, de mortclle amertume
que l’artiste sent partout.
Ich verstehe immer weniger von dem, was
Sie schreiben, sehr geehrter Herr Domi-
nique Braga. II est possible que vous
soyez un lecteur assidu du «Simplizissi-
mus» et que vous croyiez que cette revue
illustree mene le mouvement expression-
niste. Und was schreiben Sie denn noch?
Carl Sternheim, qui . . .
O, mein Herr, jetzt fangen Sie an, mich
zu interessieren. Je suis intrigue, je suis
tout oreille, je me demande, comment
vous pouvez sauter d’un bond de l’ex-
pressionnisme allemand ä Carl Sternheim.
Voyons ce que vous ecrivez encore?
Carl Sternheim, qui, lui, est maitre de
ces exces, reussit ä courir sur une ligne
ideale, sur une corde raide qui traverse
le monde un peu ä cöte de son centre
de gravite.
En voilä une revelation! Das habe ich
bis auf den heutigen Tag nicht gewusst.
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