Dada auf, die ganze Welt ist Dadaist;
alles Marke Fliegentod, weil sie Dada in
sich überwunden hat. Punkt. Leider nicht
Punkt. So einfach ist die Sache immer
noch nicht, denn sie haben Dada noch
nicht in sich überwunden; Beweiss: jeder
Kunstgelehrte behauptet, Dada wäre eine
längst überwundene Angelegenheit. Und
dabei sind die Herren Kunstgelehrten
die für den Dada fähigsten Leute. Aber
Dada beiseite. Betrachten wir einmal
den Dadaismus kritisch. Dada ist die
Kritik an der Kritik, Dada ist die Oppo-
sition auf die Opposition, gelegentlich
des Jahreswechsels von 1923 auf 1924
natürlich auch. Das ist selbstverständlich
oder sind Sie anderer Ansicht? Aber Sie
denken, nun risse mir der Faden, der
Faden, den ich vorher in meinem Bleistift
eingefädelt habe und plötzlich reisst
ihnen auch der Faden. Herrn Westheim
reisst plötzlich der Faden, Herrn Cohn-
Wiener reisst plötzlich der Faden, Herrn
Kurt Glaser reisst plötzlich der Faden,
Herrn Fritz Stahl reisst plötzlich sogar
der Stahlfaden; und plötzlich geht ihnen
ein Faden auf. Die ganze Welt besteht
nämlich nur aus gerissenen Faden, weil
nämlich das Knäuel vorher zu verwirrt
war, und weil jeder an einem anderen
Faden zerrt. So einfach ist die Sache
doch noch nicht, sehen Sie Dada ist nicht
der zerrissene Faden, und wenn Sie es
auch möchten, meine Herren Kunstorgane.
Dada ist der christliche Geist auf dem
Gebiete der Kunst. Dada ist nicht Kunst
aus Selbstbescheidung, Dada ist nicht
Kunst, die für die Kunst arbeitet. Dada
setzt sich ein für die Kunst nach Dada,
die Dada selbst nicht schaffen will,
Dada ist die Ausmistungdes Augiasstalles.
Und plötzlich erkennen alle, dass auch
sie ausmisten, und plötzlich erkennen
alle, dass auch sie Dadaisten sind, weil
auch sie für etwas anderes kämpfen als
für die Kunst-. Und plötzlich ist Herr
Westheim ein Asket, Herr Cohn-Wiener
ein Asket, Herr Kurt Glaser ein Asket,
Herr Fritz Stahl sogar ein Stahl-Asket.
Alle sind sie Asketen geworden. Aber
so einfach ist die Sache doch noch nicht,
immer noch nicht, denn zum Asketen
gehört der Athlet. MeineHerrenWestheim,
Cohn-Wiener, Kurt Glaser, Fritz Stahl,
Sie können einfach nicht Dadaisten sein,
weil Verneinung einer Sache zunächst
einmal bedingt, dass man sie besessen
hat. Sie können nicht Kunst verneinen,
weil Sie nicht einmal vorher gewusst
haben, was Kunst ist. Man kann nicht
Asket sein, ohne die Wollust des Lebens
zu kennen, und Athlet wird man durch
konsequente Übung und Erfahrung auf
diesem Gebiete und sehen Sie, nun komme
ich zum Jahreswechsel noch zum wahren
Wesen des Dadaismus. Nämlich das
wahre Wesen des Dadaismus existiert
überhaupt nicht und hat nie existiert,
weil seine Vorkämpfer nicht fähig, nicht
mutig und nicht dadaistisch genug waren.
Das Wesen des Dadaismus ist das abso-
lute Gegenteil von Kunst. Wer Kunst
kennt, dazu Fähigkeiten, Mut, Veran-
lassung und Gelegenheit hat, Kunst in
ihr Gegenteil umzukehren, ist Dadaist.
Und plötzlich drehen alle sich selbst um.
Herr Westheim dreht sich um (zum wie-
vielten Male?), Herr Cohn-Wiener dreht
sich um, Herr Kurt Glaser dreht sich um,
Herr Fritz Stahl dreht sich um, der ganze
Koncern dreht sich um. Jetzt lesen sie
sich von hinten und staunen selbst. Denn
sie heissen jetzt Nrecnok, Lhats, ja, Lhats,
Resalg, Nhoc oder Reneiwnhoc, so ähn-
lich wie Renaissance, Miehtsew, ja, da
steht einem Dada still. Und ich kehre
ruhig, in Worten reuig zu Merz zurück
und verspreche Ihnen in meinen nächsten
Tränen den kompletten Dadaismus.
Difficile est, satyram non scribere.
Es grüssen herzlichst meine Frau und
Ihr
Kurt Schwitters
Sterben
Flammen sinken immer schwächer
Schatten fallen blass und drängt den Mund
die staube Asche
Haufen Grab
Weit
Hoch
Schwingt - schwingt
Fällt tief - fällt
Tief
Verloschen
Müde Sterne wanken heimwärts in die
hohen Säle
Kerzen
Kinderhimmel lieber Gott und Strahlen
Traum und Lachen
Seele müde Kerze meine
Ingeborg Lacour-Torrup
32
alles Marke Fliegentod, weil sie Dada in
sich überwunden hat. Punkt. Leider nicht
Punkt. So einfach ist die Sache immer
noch nicht, denn sie haben Dada noch
nicht in sich überwunden; Beweiss: jeder
Kunstgelehrte behauptet, Dada wäre eine
längst überwundene Angelegenheit. Und
dabei sind die Herren Kunstgelehrten
die für den Dada fähigsten Leute. Aber
Dada beiseite. Betrachten wir einmal
den Dadaismus kritisch. Dada ist die
Kritik an der Kritik, Dada ist die Oppo-
sition auf die Opposition, gelegentlich
des Jahreswechsels von 1923 auf 1924
natürlich auch. Das ist selbstverständlich
oder sind Sie anderer Ansicht? Aber Sie
denken, nun risse mir der Faden, der
Faden, den ich vorher in meinem Bleistift
eingefädelt habe und plötzlich reisst
ihnen auch der Faden. Herrn Westheim
reisst plötzlich der Faden, Herrn Cohn-
Wiener reisst plötzlich der Faden, Herrn
Kurt Glaser reisst plötzlich der Faden,
Herrn Fritz Stahl reisst plötzlich sogar
der Stahlfaden; und plötzlich geht ihnen
ein Faden auf. Die ganze Welt besteht
nämlich nur aus gerissenen Faden, weil
nämlich das Knäuel vorher zu verwirrt
war, und weil jeder an einem anderen
Faden zerrt. So einfach ist die Sache
doch noch nicht, sehen Sie Dada ist nicht
der zerrissene Faden, und wenn Sie es
auch möchten, meine Herren Kunstorgane.
Dada ist der christliche Geist auf dem
Gebiete der Kunst. Dada ist nicht Kunst
aus Selbstbescheidung, Dada ist nicht
Kunst, die für die Kunst arbeitet. Dada
setzt sich ein für die Kunst nach Dada,
die Dada selbst nicht schaffen will,
Dada ist die Ausmistungdes Augiasstalles.
Und plötzlich erkennen alle, dass auch
sie ausmisten, und plötzlich erkennen
alle, dass auch sie Dadaisten sind, weil
auch sie für etwas anderes kämpfen als
für die Kunst-. Und plötzlich ist Herr
Westheim ein Asket, Herr Cohn-Wiener
ein Asket, Herr Kurt Glaser ein Asket,
Herr Fritz Stahl sogar ein Stahl-Asket.
Alle sind sie Asketen geworden. Aber
so einfach ist die Sache doch noch nicht,
immer noch nicht, denn zum Asketen
gehört der Athlet. MeineHerrenWestheim,
Cohn-Wiener, Kurt Glaser, Fritz Stahl,
Sie können einfach nicht Dadaisten sein,
weil Verneinung einer Sache zunächst
einmal bedingt, dass man sie besessen
hat. Sie können nicht Kunst verneinen,
weil Sie nicht einmal vorher gewusst
haben, was Kunst ist. Man kann nicht
Asket sein, ohne die Wollust des Lebens
zu kennen, und Athlet wird man durch
konsequente Übung und Erfahrung auf
diesem Gebiete und sehen Sie, nun komme
ich zum Jahreswechsel noch zum wahren
Wesen des Dadaismus. Nämlich das
wahre Wesen des Dadaismus existiert
überhaupt nicht und hat nie existiert,
weil seine Vorkämpfer nicht fähig, nicht
mutig und nicht dadaistisch genug waren.
Das Wesen des Dadaismus ist das abso-
lute Gegenteil von Kunst. Wer Kunst
kennt, dazu Fähigkeiten, Mut, Veran-
lassung und Gelegenheit hat, Kunst in
ihr Gegenteil umzukehren, ist Dadaist.
Und plötzlich drehen alle sich selbst um.
Herr Westheim dreht sich um (zum wie-
vielten Male?), Herr Cohn-Wiener dreht
sich um, Herr Kurt Glaser dreht sich um,
Herr Fritz Stahl dreht sich um, der ganze
Koncern dreht sich um. Jetzt lesen sie
sich von hinten und staunen selbst. Denn
sie heissen jetzt Nrecnok, Lhats, ja, Lhats,
Resalg, Nhoc oder Reneiwnhoc, so ähn-
lich wie Renaissance, Miehtsew, ja, da
steht einem Dada still. Und ich kehre
ruhig, in Worten reuig zu Merz zurück
und verspreche Ihnen in meinen nächsten
Tränen den kompletten Dadaismus.
Difficile est, satyram non scribere.
Es grüssen herzlichst meine Frau und
Ihr
Kurt Schwitters
Sterben
Flammen sinken immer schwächer
Schatten fallen blass und drängt den Mund
die staube Asche
Haufen Grab
Weit
Hoch
Schwingt - schwingt
Fällt tief - fällt
Tief
Verloschen
Müde Sterne wanken heimwärts in die
hohen Säle
Kerzen
Kinderhimmel lieber Gott und Strahlen
Traum und Lachen
Seele müde Kerze meine
Ingeborg Lacour-Torrup
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