Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

DOI article:
Hilberseimer, Ludwig: Großstadtarchitektur
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0205

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DERSTURM
HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN


GROSSTADT ARCHITEKTUR
Die Großstadt mit ihren völlig neuartigen Anforderungen und Zwecken hat
auch eine neue Architekturart hervorgebracht, die der Architektur der
Vergangenheit in vielem diametral entgegengesetzt ist. Bei aller Abhängigkeit
von Gesellschafts-, Wirtschafts- und Produktionsformen ist die Architektur der
Vergangenheit wesentlich kultisch-religiösen Ursprungs. Der Großstadtarchitektur
fehlen solche Bindungen völlig. Sie wird vor allem durch reale Notwendigkeiten
hervorgerufen. Durch Sachlichkeit und Ökonomie, Materialien und Konstruktionen,
wirtschaftliche und soziologische Momente bestimmt. Sie steht daher selbständig
neben der aus durchaus anderen Verhältnissen hervorgegangenen historischen Ar-
chitektur. Kann nicht, wie es vielfach versucht wurde, von dieser abgeleitet werden.
Es ist logisch und unsinnig und widerspruchsvoll, Formen der historischen Archi-
tektur, von ihren Voraussetzungen losgelöst, abstrakt, wahllos und ohne Unterschied
anwenden zu wollen.
Die Großstadtarchitektur ist eine neue Architekturart mit eigenen Formen und
Gesetzen. Sie stellt die Gestaltung des heute gültigen wirtschaftlichen — soziolo-
gischen Moments dar. Sie sucht sich von allem nicht Unmittelbarem, von gefühl-
mäßigen Inhalten und Betonungen des Seelischen zu befreien. Erstrebt Reduzierung
auf das Wesentlichste, größte Energieentfaltung, äußerste Spannungsmöglichkeit,
letzte Exaktheit. Entspricht der Lebensform heutiger Menschen. Ist Ausdruck
eines neuen Lebensgefühte, das nicht subjektiv-individueller, sondern objektiv-
kollektiver Natur ist.
* *
*
Architektur ist Raumschöpfung. Ihre Grundlage ist das Raumgefühl. Durch
Objektivation in der Materie wird das Raumgefühl wahrnehmbar gemacht. Der
materielle Stoff nach einer Idee geformt. Die Formung des materiellen Stoffes
nach einer Idee bedeutet zugleich die Formung des ideellen Stoffes nach
den Gesetzen der Materie. Durch Zusammenschluß beider Momente in eine

177
 
Annotationen