DER STURM
HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN
Für die Kunst gegen die Künstler
Die Künstler organisieren sich. Sie wollen
aus der Not ihrer Wirtschaft zur Wirt-
schaft der Not kommen. Das Bürgertum
ist sehr erfreut, dass der berühmte Ord-
nungssinn auch in die Künstlerschaft ein-
geführt werden soll und man ist durch-
aus bereit, dieses Vorhaben durch Bälle
und Feste unter Mitwirkung namhafter
Künstler zu unterstützen. Wirtschaftliche
Verbände werden nach dem Muster der
Gewerkschaften gegründet. Und alles, was
malt oder gemalt hat, was schreibt oder
geschrieben hat, schliesst sich zusammen.
Künstler ist nämlich nach Ansicht der
Künstler und der Bürger der, der sich
ausschliesslich mit Tinte, Oel, Wasser,
Gips und Tönen betätigt. Die Herren
und Damen, die es bereits ein oder mehrere
Jahrzehnte getan haben, bekommen Rang
und Würden und dürfen bestimmen, wer
sich in Zukunft mit staatlicher oder städ-
tischer Unterstützung ausschliesslich in
Tinte, Oel, Wasser, Gips und Tönen
betätigen darf. Das Bürgertum freut sich,
mit den Künstlern in persönliche Beziehung
zu treten und die Fähigkeit der Künstler
bei den Herren geschäftlich und bei den
Damen erotisch ausbeuten zu können. Mit
einem Abendessen oder einem Paar Seiden -
Strümpfen ist die Not der Künstlerschaft
meistens auf weitere vierundzwanzig
Stunden behoben. Die akademischen
Künstler brauchen ausserdem noch eine
Wohnung von drei Stuben mit Gas und
ein Atelier für die Atelierfeste. Die phan-
tastischen Künstler brauchen allenf all s noch
eine Reise nach Italien, wo die Natur sich
besonders zum Abmalen und zur Sanges-
lust eignet. Die bürgerlichen Künstler
haben ausserdem eine Familie mit kunst-
gewerblich begabten Kindern, für deren
Erhaltung sie das Bürgertum durchaus
verantwortlich machen. Sie sind aber
bereit, dafür eine Venus (in Oel), eine
Chanson oder ein Gedicht auf Gott oder.,
die Liebe zu liefern. Somit wäre eigent-
lich alles in schönster Ordnung, sogar in
einer Ordnung der Schönheit, wenn die
Abnahme der betreffenden Kunstwerke
zu einem Höchstpreis gesetzlich geregelt
würde. Hierüber müssen sich die Ministe-
rien der schönen Künste die Köpfe von
Regierungsräten zerbrechen, die ihrerseits
durch die Atelierfeste sich die genügende
Sachkenntnis zur Lösung dieses national-
ökonomischen Problems zu beschaffen
suchen. Wenn es der Persönlichkeit eines
Künstlers gelungen ist, einen besonders
reizvollen gemeinverständlichen Typ von
Gott oder der Liebe durch Tinte, Oel,
Wasser, Gips oder Töne darzustellen, so
wird die Annahme durch die bewährte
Nachfrage geregelt, die ökonomische
Situation der Persönlichkeit verbessert sich
bis zu Klubsesseln und die Persönlichkeit
darf ihren Namen bei Aufrufen für die
allgemeine Not neben die Namen von
wirklichen Regierungsräten setzen. Die
Händler regeln wieder den Absatz nach
den bewährten Grundsätzen der freien
Wirtschaft, indem sie bei der Nachfrage
teuer verschwinden lassen, was ihnen bei
dem Angebot billig zugetragen ist. Die
Händler haben aber dafür die Fähigkeit,
den Typ des gemeinverständlichen Gottes
und der gemeinverständlichen Liebe kraft
ihrer gemeinverständlichen Neigungen
rechtzeitig freibleibend zu erkennen. Es
stände also um die gesamte Künstlerschaft
gar nicht so schlecht, wenn sichdieKünstler
nicht gelegentlich über oder unter den
gemeinen Verstand begeben würden. Dass
sie es über den gemeinen Verstand hin
tun, kommt bekanntlich selten vor. Dass
sie es unter dem gemeinen Verstand tun,
geschieht sehr oft. Ihre Begabung reicht
eben nicht dazu aus, um den ziemlich
unveränderlichen Typ unverändert nach-
zuahmen. Im übrigen erhebt der Künstler
bekanntlich die Menschheit zu den Höhen
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HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN
Für die Kunst gegen die Künstler
Die Künstler organisieren sich. Sie wollen
aus der Not ihrer Wirtschaft zur Wirt-
schaft der Not kommen. Das Bürgertum
ist sehr erfreut, dass der berühmte Ord-
nungssinn auch in die Künstlerschaft ein-
geführt werden soll und man ist durch-
aus bereit, dieses Vorhaben durch Bälle
und Feste unter Mitwirkung namhafter
Künstler zu unterstützen. Wirtschaftliche
Verbände werden nach dem Muster der
Gewerkschaften gegründet. Und alles, was
malt oder gemalt hat, was schreibt oder
geschrieben hat, schliesst sich zusammen.
Künstler ist nämlich nach Ansicht der
Künstler und der Bürger der, der sich
ausschliesslich mit Tinte, Oel, Wasser,
Gips und Tönen betätigt. Die Herren
und Damen, die es bereits ein oder mehrere
Jahrzehnte getan haben, bekommen Rang
und Würden und dürfen bestimmen, wer
sich in Zukunft mit staatlicher oder städ-
tischer Unterstützung ausschliesslich in
Tinte, Oel, Wasser, Gips und Tönen
betätigen darf. Das Bürgertum freut sich,
mit den Künstlern in persönliche Beziehung
zu treten und die Fähigkeit der Künstler
bei den Herren geschäftlich und bei den
Damen erotisch ausbeuten zu können. Mit
einem Abendessen oder einem Paar Seiden -
Strümpfen ist die Not der Künstlerschaft
meistens auf weitere vierundzwanzig
Stunden behoben. Die akademischen
Künstler brauchen ausserdem noch eine
Wohnung von drei Stuben mit Gas und
ein Atelier für die Atelierfeste. Die phan-
tastischen Künstler brauchen allenf all s noch
eine Reise nach Italien, wo die Natur sich
besonders zum Abmalen und zur Sanges-
lust eignet. Die bürgerlichen Künstler
haben ausserdem eine Familie mit kunst-
gewerblich begabten Kindern, für deren
Erhaltung sie das Bürgertum durchaus
verantwortlich machen. Sie sind aber
bereit, dafür eine Venus (in Oel), eine
Chanson oder ein Gedicht auf Gott oder.,
die Liebe zu liefern. Somit wäre eigent-
lich alles in schönster Ordnung, sogar in
einer Ordnung der Schönheit, wenn die
Abnahme der betreffenden Kunstwerke
zu einem Höchstpreis gesetzlich geregelt
würde. Hierüber müssen sich die Ministe-
rien der schönen Künste die Köpfe von
Regierungsräten zerbrechen, die ihrerseits
durch die Atelierfeste sich die genügende
Sachkenntnis zur Lösung dieses national-
ökonomischen Problems zu beschaffen
suchen. Wenn es der Persönlichkeit eines
Künstlers gelungen ist, einen besonders
reizvollen gemeinverständlichen Typ von
Gott oder der Liebe durch Tinte, Oel,
Wasser, Gips oder Töne darzustellen, so
wird die Annahme durch die bewährte
Nachfrage geregelt, die ökonomische
Situation der Persönlichkeit verbessert sich
bis zu Klubsesseln und die Persönlichkeit
darf ihren Namen bei Aufrufen für die
allgemeine Not neben die Namen von
wirklichen Regierungsräten setzen. Die
Händler regeln wieder den Absatz nach
den bewährten Grundsätzen der freien
Wirtschaft, indem sie bei der Nachfrage
teuer verschwinden lassen, was ihnen bei
dem Angebot billig zugetragen ist. Die
Händler haben aber dafür die Fähigkeit,
den Typ des gemeinverständlichen Gottes
und der gemeinverständlichen Liebe kraft
ihrer gemeinverständlichen Neigungen
rechtzeitig freibleibend zu erkennen. Es
stände also um die gesamte Künstlerschaft
gar nicht so schlecht, wenn sichdieKünstler
nicht gelegentlich über oder unter den
gemeinen Verstand begeben würden. Dass
sie es über den gemeinen Verstand hin
tun, kommt bekanntlich selten vor. Dass
sie es unter dem gemeinen Verstand tun,
geschieht sehr oft. Ihre Begabung reicht
eben nicht dazu aus, um den ziemlich
unveränderlichen Typ unverändert nach-
zuahmen. Im übrigen erhebt der Künstler
bekanntlich die Menschheit zu den Höhen
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