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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Blümner, Rudolf: Schauheit Auge und Fächer
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Walden, Herwarth: Der Blaue Vogel
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0043
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doch diese Ungeborenen in Spiritus oder
Schösslinge in fremde Erde setzen. Oder
Anderen einen Tipp geben. Wer hat die
Geduld, meine Dramen zu schreiben oder
meine Versfragmente zu beenden? Wer
will sich mit meinen Filmen reichschreiben
oder sich mit meinen religiösen Gesprächen
einen Namen machen? Wer hat Lust,
• aus einigen meiner skurrilen Ideen einen
Band Grotesken zu machen?

Es liegt an meiner Trägheit, wenn ich ,,Die
Verschwörung desChristian Deideshainer4 4
nicht geschrieben habe, diese beste
deutsche Komödie, in der ein königstreuer
Schneidermeister zum Revolutionär wird
und einen Affen verhaften lässt. Mein
längstes Epos beginnt mit den Worten:
Ich schlief in Wolken
Dumm verführte mich.

Aber ich habe nie eine dritte Zeile dazu
geschrieben und ich weiss selbst nicht,
zu was sich meine Gespräche mit Gott
ausgewachsen hätten, wenn ich von dem
Einfall einen ergiebigen Gebrauch gemacht
hätte, dem Gott, der uns durch nächt-
liche Gewitter erschreckt, den Konto-
Auszug zu schicken. Ein anderer als
ich machte aus dem ,,Bösen Herrn
Gutmann44 eine Zeitsatire, die alle
Zeiten überdauert. Und wenn es ihm
beikäme, dass ein Grippefall ein Ge-
rippe f a 11 werden kann — er schriebe
einen Band von Wortspielen, der in die
Abgründe von Seele, Sprache und Welt
blicken lässt. Was aber schüfe er mit
meinem mundvoll Lyrismen? Eine Epoche,
meine Herrschaften, eine neue Epoche
würde er, wenns erlaubt ist zu sagen,
inaugurieren. ,,Blutgerädert44, das
wäre der Titel des Bandes lyrischer Ge-
dichte, deren Erotisches, von einer nie
erlebten Gewalt, so beginnt:

Dein Feuer weicht meinem Lustmaul
und dessen tiefstes und innigstes mit den
Worten schliesst:
Und meine Gedanken sinken hinauf.

Wo ist er, der mich zur Welt bringt?
Ich überlasse ihm meinen ,.Zahltag des
Herzens44 unentgeltlich und ohne Eitel-
keit zur Verfilmung und ich will ihm
noch dankbar sein, wenn er mit meiner
,, Original-Hinrichtung44 etwas an-
zufangen oder zu beendigen weiss.
Wenn er aber meine Memoiren schreiben
will, soll er nicht vergessen, vor das
dritte Buch (oder ists das vierte?) das
Motto zu setzen:

Eher kam das Missgeschick nicht an mein
Haus, als bis ich rings davon umgeben
war (aus Blümner ,,Gesammelte Träume44
III. Band).
Rudolf Blümner

Der Blaue Vogel
Es gibt in Europa nur zwei Regisseure,
die Theater spielen können. Es sind die
Russen Tairoff und Jushny. (Den drei
deutschen Künstlern Rudolf Blümner,
Lothar Schreyer und William Wauer
braucht es Der Sturm nicht zu bestätigen.)
Jushny, der Regisseur des Blauen Vogels,
spielt fast ständig in Berlin. Die Wirkung
seiner Kunst erprobt sich an jedem Abend
und bei jedem Publikum. Selbst die erste
Garnitur der Berliner Theaterkritik hat
sich mit den üblichen Einwänden aus
Berufsgründen die erste Garnitur der An-
erkennung angelegt. Jedenfalls ist Jushny
nicht von der Berliner Theaterkritik er-
funden worden, noch nicht einmal wirk-
lich gefunden, trotzdem die Herren viel
von ihm lernen könnten. Eins bleibt er-
staunlich: alle Prominenten sehen sich
wieder und wieder die Vorstellungen des
Blauen Vogels an und wagen es, so Theater
weiter zu spielen, wie eben Prominente
es tun. Prominente sind Schauspieler
oder wie sie es lieber nennen, Mitglieder,
oder, wie es richtiger heissen muss, Gast-
redner von Bühnen. Gastredner, deren
Namen durch die Druckerkunst dem Ge-
dächtnis des Publikums aufgedruckt wer-
den. Sie können allenfalls im gutsitzen-
den Frack den König spielen oder als
Dame mit und ohne Purpur über die Bühne
schlenkern. Die anderen Herren und Damen
auf der Bühne dienen dazu, den Auftritt
oder den Abtritt dieser Prominenten vor-
zubereiten. Bei der Aufführung soge-
nannter Klassiker wird noch ein bestimm-
ter, aber ebenso trostloser Text unter-
legt. Dekorationen werden manchmal
von Künstlern entworfen und von den
ausführenden Theaterfirmen verworfen.
Weil die nämlich wissen, was man machen
kann.
Jushny hat das Wesen des Bühnenkunst-
werkes erkannt. Es ist die Komposition
von Sichtbarem und Hörbarem, die künst-
lerisch logisch miteinander verbunden
werden müssen, um eine künstlerische
 
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