Wirkung zu geben. Auch der Schau-
spieler ist nur ein Objekt des Bühnen-
kunstwerkes. Er ist ein Glied des Orga-
nismus, den man Theater nennt. Der
künstlerische Organismus muss gestaltet
werden. Nur kann das Glied nicht den
Organismus gestalten, da sein Wesen ist,
Glied und nicht Organismus zu sein. Die
Qualität des Schauspielers ist seine In-
tensität, nicht seine Individualität. Wenn
ein Körper sich bewegt, ist nicht der
Körper, sondern die Bewegung die Wir-
kung. Wenn sich mehrere Körper be-
wegen, ist nicht die Bewegung, sondern
die Richtung der Bewegung die Wirkung.
Wenn eine Stimme klingt, ist nicht die
Stimme, sondern der Klang die Wirkung.
Wenn mehrere Stimmen klingen, ist nicht
die Mehrheit, sondern der Zusammenklang
die Wirkung. Die Zusammenstellung,
also die Komposition von Bewegung,
Farbe und Klang ist das Schaffen des
Bühnenkunstwerkes. Sowie es unterlassen
wird, Farbe, Bewegung und Klang kom-
positorisch zu gestalten, sowie man also
natürlich bewegen und natürlich sprechen
lässt, wird der Kunstorganismus zerstört,
vernichtet.
Jushny hat dieses Wesen des Kunst-
werkes erkannt und seine Künstlerschaft
ist es, Bewegung, Farbe und Klang
gestalten zu können. Daher ist es für
ihn wie für jeden Künstler völlig belang-
los, mit welchem Stoff er arbeitet. Denn
nicht der Stoff, die Form macht das
Kleid. Ernst und Heiterkeit sind sub-
jektive Erregungen und nicht etwa gegen-
sätzliche Kunstmittel. Sie sind überhaupt
keine Kunstmittel. Ebenso wenig wie
Schönheit und Hässlichkeit. Auch sie
sind nur subjektive Erregungen. Warum
muss durchaus die Nachtigall gefallen
und die Eule nicht, wo doch die Eule
des andern die Nachtigall des einen sein
kann. Wo die Kunst nicht das geringste
mit Gefallen zu tun hat.
Jushny spielt eine Szene, die Leierkasten
heisst. Zwei Männer und ein Mädchen
singen irgendein Lied und bewegen sich
dazu. Der eine Mann spielt einen Leier-
kasten, der andere hat Trommel und
Schlagzeug, das Mädchen singt. Ein
Vorgang, den man kennt. Man hat das
überall und oft im Leben gesehen. Leute,
die sich auf ihr Mitleid etwas einbilden,
pflegen in solchen Fällen die kleinste
Einheit ihrer Währung zur Erhöhung
ihres Selbstbewusstseins fortzuwerfen.
Während Leute, die mit beiden Füssen
auf der Erde stehen, nichts gebend sich
über Bettlerunwesen beklagen. Das ist
die Wirkung der Natur. Dasselbe ge-
schieht jetzt auf der Bühne. Dieselben
Leute lachen oder weinen. Es geht also
eine Wirkung aus, eine sinnliche Wirkung,
die positiv und negativ nichts mit Ethik
zu tun hat. Auch nichts mit Aesthetik.
Denn Bettler gelten allgemein als un-
ästhetisch. Nur Kunstmaler finden an-
gebliche Reize. Kunstmaler können aber
bekanntlich nicht sehen. Hier ist die
Wirkung rein künstlerisch. Weil nämlich
nicht natürliche Menschen vor uns stehen,
weil nämlich diese Menschen nur Träger
von Farbe, Klang und Bewegung sind, die
zu einem künstlerischen Organismus ge-
staltet wurden. Jede Bewegung steht in
einer Beziehung zu der anderen. Durch
die absolute Messung der Bewegungen
in ihrem Verhältnis zueinander, wird jede
einzelne Bewegung sichtbar, also sinnlich
wirksam. Der künstlerisch ungeschulte
Mensch nennt diese Bewegungen mario-
nettenhaft. Weil er nur an der Marionette
die Bewegung wahrnimmt. Weil bei
der Marionette die Bewegung künstlerisch
gestaltet wird. Während der natürliche
Mensch sich überhaupt nicht bewegt.
Weil für ihn die Bewegung nur ein
Zweck ist. Erst wenn der Zweck der
Bewegung nicht erreicht wird, oder wenn
die Bewegung dem Zweck nicht dient,
wird die Bewegung im Leben sichtbar.
Man lacht über den Stolpernden, weil
erst im Unzweckmässigen die Bewegung
wieder sinnlich aufgenommen wird. Des-
wegen hilft sich der Schauspieler aus
den Gründen der Wirkung meistens mit
Stolpern, weil er sich sonst nicht sicht-
bar bewegen kann. Wenn er geht,
interessiert es keinen Zuschauer. Auch
nicht, wenn er liegt oder sitzt oder
steht. Weil der Zuschauer eben alle
diese Bewegungen nicht sichtbar ge-
staltet bekommt. Auch das Stolpern
des Schauspielers ist nicht gestaltet.
Aber der Zuschauer lacht, weil es
die einzige Bewegung ist, die er aus
dem Leben kennt. Ebenso ist es mit
dem Sprechen und dem Singen. Der
Zuschauer hört Gedanken. Aber
nicht ein einziges Wort kommt ihm als
Wort oder gar als Klang ins Bewusstsein.
Damit nun irgend etwas geschieht, hilft
sich der Schauspieler mit dem Schrei und
der Dichter mit dem Schuss. Wenn je-
mand schreit, versteht es der Zuschauer
38
spieler ist nur ein Objekt des Bühnen-
kunstwerkes. Er ist ein Glied des Orga-
nismus, den man Theater nennt. Der
künstlerische Organismus muss gestaltet
werden. Nur kann das Glied nicht den
Organismus gestalten, da sein Wesen ist,
Glied und nicht Organismus zu sein. Die
Qualität des Schauspielers ist seine In-
tensität, nicht seine Individualität. Wenn
ein Körper sich bewegt, ist nicht der
Körper, sondern die Bewegung die Wir-
kung. Wenn sich mehrere Körper be-
wegen, ist nicht die Bewegung, sondern
die Richtung der Bewegung die Wirkung.
Wenn eine Stimme klingt, ist nicht die
Stimme, sondern der Klang die Wirkung.
Wenn mehrere Stimmen klingen, ist nicht
die Mehrheit, sondern der Zusammenklang
die Wirkung. Die Zusammenstellung,
also die Komposition von Bewegung,
Farbe und Klang ist das Schaffen des
Bühnenkunstwerkes. Sowie es unterlassen
wird, Farbe, Bewegung und Klang kom-
positorisch zu gestalten, sowie man also
natürlich bewegen und natürlich sprechen
lässt, wird der Kunstorganismus zerstört,
vernichtet.
Jushny hat dieses Wesen des Kunst-
werkes erkannt und seine Künstlerschaft
ist es, Bewegung, Farbe und Klang
gestalten zu können. Daher ist es für
ihn wie für jeden Künstler völlig belang-
los, mit welchem Stoff er arbeitet. Denn
nicht der Stoff, die Form macht das
Kleid. Ernst und Heiterkeit sind sub-
jektive Erregungen und nicht etwa gegen-
sätzliche Kunstmittel. Sie sind überhaupt
keine Kunstmittel. Ebenso wenig wie
Schönheit und Hässlichkeit. Auch sie
sind nur subjektive Erregungen. Warum
muss durchaus die Nachtigall gefallen
und die Eule nicht, wo doch die Eule
des andern die Nachtigall des einen sein
kann. Wo die Kunst nicht das geringste
mit Gefallen zu tun hat.
Jushny spielt eine Szene, die Leierkasten
heisst. Zwei Männer und ein Mädchen
singen irgendein Lied und bewegen sich
dazu. Der eine Mann spielt einen Leier-
kasten, der andere hat Trommel und
Schlagzeug, das Mädchen singt. Ein
Vorgang, den man kennt. Man hat das
überall und oft im Leben gesehen. Leute,
die sich auf ihr Mitleid etwas einbilden,
pflegen in solchen Fällen die kleinste
Einheit ihrer Währung zur Erhöhung
ihres Selbstbewusstseins fortzuwerfen.
Während Leute, die mit beiden Füssen
auf der Erde stehen, nichts gebend sich
über Bettlerunwesen beklagen. Das ist
die Wirkung der Natur. Dasselbe ge-
schieht jetzt auf der Bühne. Dieselben
Leute lachen oder weinen. Es geht also
eine Wirkung aus, eine sinnliche Wirkung,
die positiv und negativ nichts mit Ethik
zu tun hat. Auch nichts mit Aesthetik.
Denn Bettler gelten allgemein als un-
ästhetisch. Nur Kunstmaler finden an-
gebliche Reize. Kunstmaler können aber
bekanntlich nicht sehen. Hier ist die
Wirkung rein künstlerisch. Weil nämlich
nicht natürliche Menschen vor uns stehen,
weil nämlich diese Menschen nur Träger
von Farbe, Klang und Bewegung sind, die
zu einem künstlerischen Organismus ge-
staltet wurden. Jede Bewegung steht in
einer Beziehung zu der anderen. Durch
die absolute Messung der Bewegungen
in ihrem Verhältnis zueinander, wird jede
einzelne Bewegung sichtbar, also sinnlich
wirksam. Der künstlerisch ungeschulte
Mensch nennt diese Bewegungen mario-
nettenhaft. Weil er nur an der Marionette
die Bewegung wahrnimmt. Weil bei
der Marionette die Bewegung künstlerisch
gestaltet wird. Während der natürliche
Mensch sich überhaupt nicht bewegt.
Weil für ihn die Bewegung nur ein
Zweck ist. Erst wenn der Zweck der
Bewegung nicht erreicht wird, oder wenn
die Bewegung dem Zweck nicht dient,
wird die Bewegung im Leben sichtbar.
Man lacht über den Stolpernden, weil
erst im Unzweckmässigen die Bewegung
wieder sinnlich aufgenommen wird. Des-
wegen hilft sich der Schauspieler aus
den Gründen der Wirkung meistens mit
Stolpern, weil er sich sonst nicht sicht-
bar bewegen kann. Wenn er geht,
interessiert es keinen Zuschauer. Auch
nicht, wenn er liegt oder sitzt oder
steht. Weil der Zuschauer eben alle
diese Bewegungen nicht sichtbar ge-
staltet bekommt. Auch das Stolpern
des Schauspielers ist nicht gestaltet.
Aber der Zuschauer lacht, weil es
die einzige Bewegung ist, die er aus
dem Leben kennt. Ebenso ist es mit
dem Sprechen und dem Singen. Der
Zuschauer hört Gedanken. Aber
nicht ein einziges Wort kommt ihm als
Wort oder gar als Klang ins Bewusstsein.
Damit nun irgend etwas geschieht, hilft
sich der Schauspieler mit dem Schrei und
der Dichter mit dem Schuss. Wenn je-
mand schreit, versteht es der Zuschauer
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