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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Blümner, Rudolf: Alt-Wien
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Braun, Nikolaus: Erlösung im Licht
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Walden, Herwarth: Die Gondel von Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0123

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DER STURM
HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN
FÜNFZEHNTER JAHRGANG / MONATSBERICHT / JUNI 1924

Alt-Wien
„Bei einem Festessen in dem Empfangsraum des
Wiener Rathauses zu Ehren des Dr. Richard Strauß
teilte der sozialdemokratische Bürgermeister Seitz
mit, daß in der nächsten Sitzung des Gemeinderates
Dr. Richard Strauß zum Ehrenbürger von Wien
ernannt werden soll. Strauß versprach, die nächsten
zwei Dezennien in Wien leben zu wollen.“
Ich hoffe, daß der Gemeinderat sein Wort hält,
das Herrn Dr. Strauß für zwei Dezennien in Wien
festhält. Denn die Berufung auf die Tradition ist
in Wien seit altersher traditionell. Im Mai 1824
wurde die Neunte Symphonie Beethovens in
Wien ausgepfiffen und verhöhnt. Im Mai 1924
ehrt die Stadt Wien einen Komponisten, der sich um
den Niedergang der Musik hoch verdient gemacht
hat. Das ist eine neue Verhöhnung Beethovens.
Aber der Gemeinderat von Wien fühlt sich ver-
pflichtet, es seinen Vorfahren gleich zu tun.
Rudolf Blümner

ERLÖSUNG im LICHT
Ich fertige Bilder für Sanatorien an mit eingebauter
Höhensonne. Davor werden die Ausstellungs- und
Sanatoriumsbesucher kaffeebraun und fahren nach
10 Minuten Betrachtens aus der Haut. Weiterhin
schaffe ich Bilder mit Blaulicht — ebenfalls für alle
Heil- und Unheilzwecke. Von meinen neusten
Bildern gehen die Strahlen des großen englischen
Physikers H. Rindell - Matthews aus, die sogar einem
Magneten das Anziehen und Abstoßen abgewöhnen.
Der Betrachter dieser Bilder fühlt sich im Nirvana-
Zustand selig erlöst. — In Parlamenten und Kaffee-
häusern aufgehängt, verhindern diese meine Arbeiten
wirksamst jeden Krieg. Im übrigen können Sie das
alles ebenso erleben, wenn Sie sich an das Wasser
begeben und daselbst geruhsam das Spiel des Lichtes
betrachtend sich hineinziehen lassen in das unendliche
Hüpfen und Kreisen der Reflexe und Sonnenabbilder.
Zur Ausstellung im Sturm Nikolaus Braun

Die Gondel von Berlin
Jetzt gibt es dicht beim Sturm ein Theater. Es heißt
„Die Gondel“. Zwischen beiden liegt der Potsdamer
Platz. Auf ihm wird der Verkehr geregelt und
linksrum und rechtsrum Revolution gemacht. Zur
Besichtigung dieser Angelegenheiten ist für das bessere
unbeteiligte Publikum ein Cafe errichtet, das vor
zwanzig Jahren im Stil eines Biedermeierschlafzimmers
renoviert wurde. Dort trinkt man den bekannten
Berliner Cafe, der ohne Bohnen von selbst schwarz
wird. Im helleren Zustand wird er Bouillon genannt.
Auf einer andern Seite des Platzes hat man die Ecke
der Piccadilly-Street nachgebaut, als obste in London
lebst. Damit die Berliner die Örter nicht verwechseln,
hat man das Monumentalcafe dieses Hauses Vaterland
genannt. Bleibt man aber auf der Seite des Aussichts-
cafes, so kommt man logisch in die Bellevuestraße.
Hinter den Bäumen befindet sich auf der einen Seite
das Hotel Esplanade, in dessen Sälen man die Feste
feiert, die nicht fallen wollen. Auf der anderen
Seite hinter den Bäumen liegt das Künstlerhaus. Es
ist körperliches und geistiges Eigentum des Vereins
Berliner Künstler. Das sind Herren, die grundsätzlich
nur Bilder malen und ausstellen, die man vor mehreren
Jahrzehnten schon einmal gemalt hat und die in zu-
fällig leeren Läden der Potsdamer Straße in Serien
verkauft werden. Zehn Stück zu einhundert Mark,
zehn Stück zu zwohundert Mark. Bis zu den höchsten
Preisen rauf. Telefonischer Anruf genügt. Besichtigung
nicht erforderlich. Nur um Angabe wird gebeten,
ob Kniestücke oder Seestücke erwünscht sind. Neben
diesem Künstlerhaus liegt die Kunst. Das Theater
„Die Gondel“. Zwei Neger singen auf der Bühne
von the spring time, das einzige Wort, das „man“
versteht. Der Maler Paul Leni hat sie angezogen.
Selbstverständlich weiß. Wegen der spring time.
Sie haben den traditionellen deutschen Schmerbauch,
wenn auch nur in der Rockweite. Hieraus ergibt
sich, daß sie in sich bis in die Erde sinken und
bis an den Bühnenhimmel steigen können. Was sie
auch mit Inbrunst tun. Nun ist aber nicht der Rock
die Kunst, sondern das Steigen und das Sinken. Zu

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