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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Schwitters, Kurt: Familie Hahnepeter II: Der Paradiesvogel
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0257
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DER STURM / VIERTES VIERTELJAHRHEFT

sehen, so schön sprangen und schritten die Pferde. Aber da sagte der Onkel
Pluvinel, jetzt müßte er erst einmal reiten lernen, und weil er so klein war,
setzte man ihn auf einen sehr kleinen, zahmen Esel. Das sah sehr drollig aus
neben den großen Lippizaner Hengsten mit den langen Beinen und dem kurzen
gedrungenen Körper, die ihren kleinen Kopf so stolz trugen. Aber Hahnemann
wollte ja auch garnicht hohe Schule reiten, wenn er nur überhaupt reiten konnte.
Und plötzlich bockte der kleine graue Esel und wollte durchaus nicht vorwärts,
soviel ihn Hahnemann auch prügelte, und hätte ihn sogar beinahe abgeworfen.
Da kam aber auch schon sein Freund Pluvinel und sagte ihm, daß das Prügeln
bei der Dressur von Tieren sehr vorsichtig angewandt werden müsse. Meistens
hülfe gutes Zureden oder ein Stückchen Zucker bedeutend besser. Die Gerte
dient lediglich dazu, den mit anfühlender Aufmerksamkeit den Gang im Gleich-
gewicht haltenden Schenkel des Reiters zu unterstützen. Aber der Esel war
nun verbiestert und wollte absolut nicht weiter. Da mußte Hahnemann fürchter-
lich weinen und} wollte nun wieder nach Haus. Aber der Drachen war doch
ins Meer gefallen. Da sagte der alte Pluvinel, das würde wohl so leicht nicht
gehen, daß er nach Hause zurückkäme. Denn man könnte nur entweder zu
Hause oder im Paradiese sein, beides ginge nicht und wäre noch keinem
Menschen gelungen. Aber da wollte der kleine jiHahnemann doch wenigstens
seiner Mutter Nachricht geben, wie schön er es hier hätte. Da sagte Pluvinel,
man müsse zu diesem Zweck den Paradiesvogel als Brieftaube dressieren, daß
der seiner Mutter schöne Briefe brächte. O ja, das wäre schön, meinte Hahnemann.
Und nun wurde der Paradiesvogel dressiert, zuerst an der Longe, genau wie die
Lippizaner Hengste. Und als er fertig dressiert war ging Hahnemann zu Onkel
Ungeflochten, weil der am besten schreiben konnte, und diktierte ihm einen lan-
gen Brief an die Mutter; „Liebe, beste Mama. Du denkst gewiß, ich bin fort und
denke garnicht mehr an Dich. Aber nein. Ich käme ganz gerne zurück, aber
ich kann nicht. Denn ich bin im Paradiese, und der Drachen ist doch ins Meer
gefallen, und Hahnepeter ist auch hier, weil er hierher gehört, und der Paradies-
vogel auch, den ich mit Onkel Pluvinel als Brieftaube abgerichtet habe, und
Onkel Ungeflochten aus Düsseldorf, der so gut schreiben kann, wie Du an diesem
Brief siehst, auch. Eben spielt die Paradieser Kurkapelle das Weserlied von Onkel
Wagner, und ich denke, daß hier Helgoland wäre. Aber beim Paradiese ist es
ganz anders, wenn Du drinn bist, kannst Du nicht wieder raus. Onkel Pluvinel
sagt, eins könnte man nur, entweder zu Haus sein oder im Paradiese. Nun schreib
Du mir auch bald, weil ich nicht zurück kann, und steck den Brief auch nicht in

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