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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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6. Heft
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Ostwald, Wilhelm: Farbenschönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0110
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Malerei, allgemeiner für die Lichtkunst.
Sie ist nicht die einzige Voraussetzung,
denn neben ihr besteht beispielsweise
noch die Formenlehre; ausserdem kom-
men noch die mannigfaltigen Verhältnisse
in Betracht, die sich auf den Inhalt
des Dargestellten beziehen. Da auf alle
diese Dinge hier nicht eingegangen werden
kann, so herrscht in den nachfolgenden
Darlegungen eine bewusste Einseitigkeit
in der Beschränkung auf das Problem
der Farbe.
Zu jedem Kunstwerk gehört bekanntlich
eine enge Verbindung von Form und
Inhalt. Die verschiedenen Kunstepochen
lassen sich gut kennzeichnen, wenn man
ermittelt, in welchem Verhältnis beide
zueinander gestanden haben. Meist über-
wiegt der eine oder andere Anteil und
die Wellenbewegung, welche die Ent-
wicklungslinie der Kunst (wie die jeder
anderen geschichtlichen Erscheinung)
kennzeichnet, wird durch solche ab-
wechselnde Einseitigkeiten hervor-
gebracht.
Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass
die Farbe innerhalb der Kunst unter den
Begriff der Form (im allgemeinsten
Sinne) gehört. Sie hat also die Aufgabe,
den Inhalt s® gestalten zu helfen, dass
der Beschauer jene willkommene Gefühls-
erregung erfährt, welche wir die künst-
lerische Wirkung nennen. Je nach dem
Inhalt wird die Farbharmonie sanft oder
stark, weich oder hart vom Künstler ge-
wählt werden. Dieser wird aber offen-
bar sein Ziel um so vollkommener er-
reichen, je vollständiger seine Kenntnis
der denkbaren und möglichen Harmonien

ist und je sicherer ihm ihre Herstellung
gelingt.
Diese Anpassung der farbigen Form an
den Inhalt hat gleichfalls ihre geschicht-
liche Entwicklung durchgemacht. In
früheren Jahrhunderten war der Ein-
druck der eben gefundenen Harmonie
reiner Farben so vorwaltend, dass die
Künsler solche Harmonien jedenfalls an-
strebten, unabhängig von dem Inhalt des
Bildes. Auch war mangels jeder wissen-
schaftlichen Behandlung dieser Frage
die Auffindung einer einzelnen®Harmonie
Sache der glücklichen Hand (oder der
künstlerischen Inspiration, was dasselbe
besagt), dass nur wenige Harmonien über-
haupt bekannt wurden und die Auswahl
daher sehr gering war. Gab es doch
ganze Malerschulen, die alle ihre Bilder
auf eine einzige, immer gleiche Harmonie
stellten.
Die Entdeckung, dass man je nach dem
Inhalt des Werkes durch eine entsprechen-
de frohe oder trübe, sanfte oder laute Farb-
gebung dessen Eindruck gewaltig steigern
kann, wurde etwa im neunzehnten Jahr-
hundert entwickelt, wenn auch wie immer
einige frühere Bahnbrecher sich nach-
weisen lassen. Dass die hierfür verwen-
deten Farben; miteinander mehr oder
weniger deutliche Harmonien bildeten,
wurde mehr gefühlt als gewusst. Denn
alle theoretischen Versuche, die Gesetze
der Farbharmonik zu entdecken, schei-
terten an der unvollkommenen Kenntnis
der Farben selbst. So wurde allgemein
geglaubt, dass solche Gesetze sich aus-
schliesslich auf die Farbtöne des Farben-
kreises beziehen. Es sollte also möglich
sein, die Frage allgemein zu beantworten,

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