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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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6. Heft
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Ostwald, Wilhelm: Farbenschönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0109

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massgebend. Wir können also die zweite
Aufgabe der wissenschaftlichen Gesamt-
arbeit, nämlich die Prüfung des vorläufig
aufgestellten Gesetzes durch Anwendung
auf andere, entfernte Fälle, als im wesent-
lichen geleistet ansehen. Und zwar ist die
Prüfung durchaus zu Gunsten der All-
gemeingültigkeit des Satzes: Ordnung
schafft Harmonie ausgefallen.
Kehren wir hiernach zum Ausgangspunkt
zurück, so sehen wir uns in den Stand
gesetzt, eine allgemeine Antwort auf die
Frage zu geben: welche Farben sind
harmonisch? Und zwar lautet die Ant-
wort: solche, die in ordnungsmässigen
oder gesetzmässigen Beziehungen
zu einander stehen.
Dies ist nun eine überaus weitläufige Ant-
wort. Es wurde schon angedeutet, dass es
in der Farben weit weniger als vier allge-
meinste Ordnungsgesetze gibt, während in
der Ton weit nur ein einziges vorhanden ist,
das der Tonhöhe, welches auf den Schwing-
zahlen beruht. Demgemäss gibt es zu einem
bestimmten Ton nur 7 harmonische Inter-
valle (kleine und grosse Terz, Quarte,
Quinte, kleine und grosse Sext, Oktave),
die sich durch wissenschaftliche Analyse
auf drei (Oktave, Quinte, grosse Terz)
reduzieren lassen. DU Anzahl der Farben
dagegen, welche zu einer gegebenen
Farbe harmonisch sind, beträgt unter sehr
einschränkenden Voraussetzungen 25,
kann aber weit darüber gesteigert werden.
Dies ist eine Folge davon, dass die Welt
der Farben sich sehr viel mannigfaltiger
erweist, als die der Töne. Denn während
diese eindimensional ist und sich daher
durch eine Linie (der Tonhöhen) dar-
stellen lässt, ist die Welt der Farben drei-

dimensional und erfordert zu ihrer Dar-
stellung einen räumlichen Aufbau, den
oben erwähnten Doppelkegel.
Dies erklärt auch, warum bisher die Ge-
setze der Farbharmonielehre unbekannt
geblieben sind, während die Tonharmonie-
lehre seit 2y2 Jahrtausenden bekannt
waren, nachdem Pythagoras (580-500
v. Ohr.) sie entdeckt hatte. Dies war ihm
dadurch möglich geworden, dass er die
Töne mittels des Monochords, eines der
ersten physikalischen Apparate, die der
Menschengeist erfunden hat, zu messen
gelehrt hatte. Da nun bis zum Jahre 1915
kein Mittel bekannt war, Farben zu
messen, so ist es ganz natürlich, dass bis
dahin auch keine Möglichkeit bestand, die
wahren Gesetze der Farbenharmonie zu
entdecken. Was man bis dahin an Gesetzen
aufzustellen versucht hatte, erwies sich als
irrig. Und nachdem das Verfahren der
Messung entdeckt und erprobt war, war
umgekehrt der Weg zur Entdeckung der
Hermoniegesetze nicht mehr weit. Oben
ist erzählt worden, mit welcher zwang-
läufigen Sicherheit die Arbeit zu diesem
Ziel geführt hat.
Aus naheliegenden Gründen muss ich
mich hier auf die Mitteilung der Grund-
gedanken beschränken. Auch soll nach-
drücklich betont werden, dass bisher mit
keinem Worte von der Kunst die Rede
war. Es handelte sich ausschliesslich um
wissenschaftliche, insbesondere physio-
logische Tatsachen und Gesetze.
Wie aber Grammatik und Syntax Voraus-
setzungen für die Dichtkunst, Harmonie-
und Satzlehre Voraussetzungen für die
Tonkunst sind, so ist die Farbenharmonie-
lehre eine der Voraussetzungen für die

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