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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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5. Heft (Sturm-Abende - Sonderheft)
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Vasari, Ruggero: Unter den Linden – Kurfürstendamm
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Heynicke, Kurt: Die Sappe
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0097

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Kurfürstendamm
Tu sei il priapo di tutto Berlino
Tu accoglierai la mia tomba
Di giorno le tue macchine mi awolgeranno colla musica dei motori
La notte le cortigiane mi accenderanne con i tuoi globi elettrici una collana di perle

(LA DANZA DEI PINGUINI)
Kurt Heynicke
Die Sappe
Ich bin müde in den Tod. Meine Augen
sind Tore, geöffnet unendlichem Anblick
grausamer Leiden. Meine Gedanken hän-
gen fiebernd an der Vernunft. Mein Ge-
wehr klebt an meinem Willen, letzter Anker
vor der Sturzwelle.
Ich bin an der Reihe. Die Zeit zeigt meinen
Namen. Über mir wandert der Himmel um
die Erde. Über uns ist der ewige Gott.
Ich bin der Mensch.
Die Nacht schläft fast. Alle Minute atmet
eine kurze Granate, springt auf, ein Frosch,
klatscht in den Schlamm.
Sappenposten ist zusammengebissene Lippe,
ist brennendes Auge, kriechende Angst.
Die Sappe ist zusammengeschossene Erd-
schlange, blind, tot.
Schlamm ist rings Erde. Schlamm zerrt
mit gelben Fingern an den Beinen, kriecht
bis zu den Hüften. Muskeln kämpfen,
Augen stechen durch die Nacht. Nerven
zucken an den Sprengstücken. Ich bin der
Sappenposten.
Wasser ist mein Stuhl. Meine Zähne
schmecken Lehm. Süße Luft singt in die
Lunge. Ich zertrete mich. Ich stiere spitze
Blicke in die Nacht. Ich bin die Nacht.
Es kriecht. Gestaltlos Dunkel fällt mich an!
Wird Laut! Stöhnen.
Ein Kind schreit. Mein Verstand lächelt.

Nein. Ein Kind zwischen den Heeren.
Das ist das Kind der Millionen Väter. Mein
Ohr fiebert. Ein Mensch schreit seine Qual
über das Schlacht-Feld. Alle. Die Heere.
Ein Mensch schreit Hilfe. Schlamm zerrt
einen Menschen in die Erde. Tausend
Saugfinger zerren Jugend in den Tod.
Leuchtkugeln fliegen überhastig. Dunkel
stirbt. Mensch versinkt. Feind versinkt.
Feind? Ein Mensch! Der Mensch.
Ich bin Soldat. Helfe ich, bin ich tot.
Ich wachse an mein Sappenloch. Nein!
Sterben ist süß! Ich will auch versinken!
Meine Mutter! Er hat Kinder. Wer?
Er schreit noch. Rettungslos. Hilfe ist
Tod. Ich bin Soldat. Ich stehe vor meiner
Brüder Schlaf. Ich liege vor meiner Mutter
Haus. Ich schütze meiner Liebsten Reinheit.
Die Stunde hüpft. Er versinkt. Die Leucht-
kugel sirrt. Noch die Schultern heraus.
Stirb leicht, Kamerad! Ich bin Soldat.
Lehm schmeckt bitter. Lehm an der Kehle.
Kalte Faust. Es wird furchtbar sein. Er
schreit noch. Ich bin ein Mensch. Mein
Gewehr hat die Menschen lieb.
Kalt sein! Kalt sein. Kerl! Soldat! Jetzt
hat er den Lehm am Hals. Mein Herz ist
Eis. Ich tus! Ich — ich schieße, schieße,
schieße.
Gott sei gnädig.
Schlafe wohl.
Kamerad.
Mensch.
Mensch im Sumpf.

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