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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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8. Heft
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Walden, Herwarth: Heim-Weh
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0147

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Herwarth Walden
Heim-Weh
Die Gaslampe spielt elektrische Krone. Der
Glühstrumpf hat sein natürliches Ende ge-
funden und hat sich gegen alle Gesetze
der Natur in eine elektrische Birne verwandelt.
Die Birne ist mit der Mutter Erde durch
einen Schlauch verbunden, der den Strom
der Birne entzieht, um einer zweiten Birne
zu Licht zu verhelfen. Die zweite Birne
räkelt sich auf goldener Säule, die mitten
in einer blumigen Landschaft aus Strick-
wolle steht. Die Landschaft schützt einen
Tisch aus echtem Holz, während sie ihrer-
seits wieder durch Leinwand geschützt wird.
Das Leinen seinerseits wird gegen den
Druck der Säule durch Bast geschützt, das
aus Schönheitsgründen kreisrund zum Qua-
drat des Tisches gehalten ist. Hinter dem
Tisch räkelt sich ein Sofa. Es wird gegen
den Umfall durch zwei Holzsäulen ge-
schützt, sein Plüsch aus Farblosigkeit durch
sinnvolle Verwendung von Lackenresten
geschont. Über dem Sofa platzt ein Stück
Holz in den Raum, das sich mit zwei
Nägeln angstvoll an die Wand klemmt.
Auf diesem Holz hat sich ein Stück Gips
niedergelassen, das je nach Geschmack an
den einen oder den andern Meister erinnert.
Links und rechts neben dem Gips ver-
sucht irrsinnig gewordenes Eisen Blumen
darzustellen, nicht ohne schamvoll seine
Blösse mit Bronze zu verdecken. Über
dem Gips blickt ein nichtwohlwollender
Herr unter Glas auf die Birne, der der
Strumpf weichen musste. Der Herr blickt
sogar durch die Birne bis zur Wand gegen-
über, an der die Gattin, die teure, auch
nicht wohlwollend auf das Bett blickt, in
dem fremde Menschen schlafen, die eigent-

lich nicht zur Familie gehören. Sie hängt,
die Gattin, an einem Nagel zu ihrem Sarge
und ihr Auge blickt wehmütig auf das
Vertiko neben dem Bett. Die fremden
Menschen. Was wissen sie von dem sil-
bernen Myrthenzweig unter der Glaskuppel,
den sie sich nach fünfundzwanzigjähriger
Bedrückung durch den Herrn gegenüber
von ihrem Spargroschen erworben und durch
ihn hat schenken lassen. Er hat die
Schenkung nur ein Jahr überlebt und sie
allein auf dieser Erde zurückgelassen. Den
Rest der Spargroschen hat das würdige
Begräbnis gekostet. Mit Kaffee und Kuchen
Die beiden Hündchen neben dem Myrthen-
zweig stammen zwar nicht aus dem Aus-
land, dafür sind sie aus Steingut. Der
eine Hund hat den Schweif verloren, seit-
dem sie nicht selbst das Zimmer mehr be-
wohnt. Drei Generationen der Familie
haben den Schweif nebst Hund geschont,
bis jene fremden Menschen in die geheiligten
Räume der Familie eingedrungen sind.
Selbst der Gatte wusste, was er den Hunden
schuldig ist. Selbst, wenn er vom Stamm-
tisch nach Hause eilte, machte er den feier-
lichen Bogen um das Vertiko, auf dem die
Rosen aus Steingut, die Schäferin aus
Majolika und der eiserne Kanzler aus Blech
ausserdem stehen. Das Bett ist nicht aus-
genutzt. Zwei Menschen bot es sechsund-
zwanzig Jahre Platz. Jetzt wird es von
einem einzigen Fräulein benutzt. Die
Augen der Gattin äusser Diensten blicken
missbilligend auf die Person, die für ihr
schweres Geld allein leicht und bequem in
dem Bett schläft, das durch Gottes Fügung
für zwei Personen bestimmt ist. Natürlich
für verheiratete Personen. Diese eine Person
schläft. In einem unziemlichen Hemd, wie
es dieses Haus nicht erlebt hat. Diese
Person schläft und zwo Birnen brennen.
 
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