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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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12. Heft
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Walden, Herwarth: Amtliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0227

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Amtliche Kunst
Also nun weiß man, nun weiß jeder Mann
über die Lage der europäischen Kunst Be-
scheid. Die Lage ist, noch dazu in der
Universität Berlin durch Geheimrat Professor
Waetzoldt in eine bestimmte Stellung ge-
bracht worden. Die Sitzung zur Stellung
der Lage veranstaltete der Bund für Kunst-
ausstellungen in der Schule. Die ganz große
Presse teilt mit, daß der Geheimrat sehr
interessant, sehr klar gesprochen habe, „man
hatte das bestimmte Empfinden, daß er sich
schon seit langem mit größter Intensität
auch in das Wesen und die Ziele der
modernen Kunsibewegung vertieft hat.“ Das
hat die ganz große Presse bekanntlich nicht
getan. Sie hat es daher leicht, bei Geheim-
räten das bestimmte Empfinden von Tiefen-
vorsehung zu bekommen. Der Geheimrat
sagt, er wolle weder schmähen noch ver-
herrlichen, er wolle nur versuchen, zu zeigen,
wie er die Dinge in der Kunst sähe. Also
eine durchaus subjektive Angelegenheit. Es
mag für den Bund interessant sein, zu hören,
wie ein Geheimrat die Dinge in der Kunst
sieht, auch ohne Kunst zu sehen. Der Ge-
heimrat vertieft sich, indem er feststellt, wenn
man solche Versuche mache, nämlich Dinge
in der Kunst zu sehen, müsse man sich
hüten, gewisse stylistische Erscheinungen der
deutschen Kunst zu überschätzen. Der Ge-
heimrat geht direkt an die gewissen Dinge
der Kunst heran: „Der Expressionismus ist
eine spezifisch deutsche Angelegenheit, die
man auch draußen im Ausland nicht anders
beurteilt. Den Expressionismus identifiziert
man draußen mit dem Bolschewismus, dem
Anarchismus. Das ganze Deutschland, so
urteilt man dort, spiegele sich eben in den
Formgebungen seiner Kunst wieder. Und

Deutschlands Schicksal sei in diesen Dingen
nur mit dem Italiens und Rußlands ver-
wandt. Heute aber geht die gesamte Kunst
Europas durch eine Krisis, die Kurve des
Spiels biegt um und wir erleben das Glück,
selber mitzumachen, wie ein Spiel wird."
Schade, daß der Geheimrat die letzten
zwanzig Jahre verschlafen hat. Er hätte schon
lange das Glück erlebt, selber mitzumachen.
Offenbar hat er sich erst jetzt vertieft. Früher
hatte er nur das bestimmte Empfinden ge-
habt. Als ihm vor vier Jahren ein schwedi-
scher Sammler den Katalog von dreißig
Bildern seiner expressionistischen Privat-
sammlung schickte, dankte der Geheimrat
ihm herzlich und bedauerte lebhaft in diesem
Brief, daß es in Deutschland keine Sammler
expressionistischer Kunst gäbe. Hätte der
Geheimrat sich nach seinem Büro etwa in
Berlin umgesehen, würde er, fünf Minuten
von seinem Amtssitz entfernt, etwa eine
Sammlung von sechshundert Bildern
expressionistischer Kunst gesehen haben
können. Aber er wollte das Glück damals
nicht mitmachen. Jetzt hingegen, wo es ge-
fährlich wird, wo die gesamte Kunst Europas
durch eine Krisis geht, da springt der Ge-
heimrat auf den Plan und er orientiert die
staunende Presse und die erstaunte Mitwelt
über die vorkritischen Zeiten. Mit wem mag
der Geheimrat da draußen korrespondiert
haben, oder verwechselt er draußen mit
drinnen. Der Geheimrat wird mir wenigstens
glauben, daß ich in jenen vorkritischen Tagen
recht viel über den Expressionismus gehört
habe. Mir hat nun mein Gewährsmann
immer gesagt, daß man drinnen den
Expressionismus mit dem Bolschewismus
identifiziere, weil man nämlich drinnen solche
Angst vor dem Bolschewismus hat. Und
wenn der Geheimrat Bolschewismus und
Anarchismus für dasselbe hält, so kann ich

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