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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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7. Heft
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Walden, Herwarth: Lübeck: Sein Mann und sein Neumann
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Walden, Herwarth: Pfingstnachklänge
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0133

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nommen wurde die Neben töne der sozialen
Klassengegensätze durch Erschiessen der
Verursacher dieser unangenehmen Neben-
geräusche verstummen zu lassen. Dann
hätten wir bereits das deutsche geistige
Reich der Mitte. Kulirein. Thomas Mann
konnte leider nur in einer Stadt geboren
werden, aber er teilt uns wenigstens mit,
wo Seele und Geist geboren sind, oder
wenigstens, welche aristokratisch-bürger-
liche Firma sie zu ihrem Stammkapital
umbuchen kann: „Die Vermittlung der
Werte der Seele und des Geistes als

deutsches Ureigentum sieht er als
eine Zukunft unserer deutschen Kultur44.
Das ist ein gewinnbringendes hanseatisches
Geschäft, da Deutschland der Reserve-
fond von Geist und Seele des Herren
Thomas Mann zur Verfügung steht. Und
schlimmstenfalls haben wir den Schwieger-
papapa.
Es muss gehandelt werden. Mangels
Kapital mit Geist und Seele, G. m. b. H.,
made in Lübeck.
Heil.

Pfingstnachklänge
Westen
Drei Riesenhallen im Stil aller bekannten
Stilarten. Dazwischen ein hochgerichtetes
Brückengeländer. Der Funkturm. Das er-
schlossene Gelände von Charlottenburg, auf
dem niemand Wohnstätten bauen wollte.
In der einen Halle geht es hoch her. Alpen-
ländische Sommerschau. Deutschland und
Österreich sollen mit Hilfe des Kitsches ver-
brüdert werden, da sie bereits mit ihm ver-
schwägert sind. Die Sommerschau ist in
Winterkojen untergebracht. Es werden Bild-
chen mit der Laterna magica gezeigt, um die
Bedürfnisse der Reisebüros zu fördern. In
jeder Koje steht eine Familie, die sich wundert,
dass das eine Mark 25 Pfennig kostet, für
welchen Preis man doch eine ganze Laterna
magica kaufen kann. Für die grosse Halle
unten hat man wieder einen Verwandten von
Johann Strauss entdeckt. Ausserdem haben
Berliner Künstler so recht lustige Papier-
guirlanden angebracht. Titel: Prater in Berlin.
Im Hintergrund ist eine abgelegte Kulisse
der berühmten Berliner Alpenbälle aufgestellt.

Alles zu sehen und zu hören für eine Mark
25 Pfennig. Ferner werden im Vestibül die
Wunder des elektrischen Tauchsieders vor-
geführt. Nusstangen, Bier und Linzer Torten
sind überall erhältlich. Selbstverständlich
gegen besondere Vergütung. Die deutsche
und die österreichische Regierung haben sich
sehr anerkennend über diesen Markstein der
Annäherung der verschwisterten Nationen
geäussert.
Norden
Die ganze Familie steht auf dem Balkon in
der Schönhauser Allee. Das kleine Mädchen
neben der zarten Mutter, die wie ihre jüngere
Schwester aussieht, jubelt: „Die vielen, vielen
Kommunisten“. Und das Dienstmädchen da-
neben jammert: „Wenn die uns nachher
regieren, werden sie mir mein neues Capp-
kleid fortnehmen und es unter die Genossen
verteilen“. Das kleine Mädchen tröstet es
mit streichelnden Händen: „Bis dahin ist
es doch nicht mehr Mode, Elisabeth, und
Sie haben es schon längst schmutziggetragen“.
Und der Gymnasiast erkundigt sich, ob das
Kleid so nach dem berühmten Kapp genannt

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