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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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7. Heft
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Ring, Thomas: Die Krise des Imperialismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0138

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Thomas Ring
Die Krise des Imperialismus
Soll man in grundlegenden Lebensfragen
sich entscheiden, so muss man alles aus-
schalten was die Beurteilung und Durch-
führung der in den Lebensfragen selbst
liegenden Dialektik vom Grundsätzlichen
ablenken könnte. Nun leben wir nicht
theoretisch als Experiment im luftleeren
Raum, sondern stehn mitten in einer realen
Entwicklung, sind vom gegenwärtigen Ent-
wicklungszustand der Menschen und Dinge
um uns beeinflusst Neigt man in politischen
Fragen zur Entscheidung gegen den Im-
perialismus, so fallen einem sofort Beispiele
rührender Fürsorge und Pflichterfüllung
einzelner Monarchen oder blendende Erfolge
imperialistisch konstituierter Staatswesen ein.
Die imperialistische Geschichtsschreibung,
aus der wir unser Wissen gewöhnlich be-
ziehen, hat dafür gesorgt dass gerade diese
Beispiele als persönliche Verdienste heraus-
gehoben oder als nachahmenswerte Ziele
leuchtend aufgestellt sind. Aber abgesehen
davon dass sie der Vergangenheit an-
gehören, aus der wir die Kausalität des
Geschehens lernen und nicht Formen zur
Nachahmung heraussuchen sollen (weil nur
prinzipiell gleiche, nicht dinglich gleiche
Bedingungen wiederkehren) haben uns die
Ereignisse der letzten Jahre vor eine Wende
gestellt, an der wir prüfen müssen ob die
imperialistische Lebensform für künftige
Menschen tauglich ist.
Das banale Vorurteil, dass die Menschen
sich immer gleich bleiben, verschliesst uns
die Augen gegen die tiefgehenden Aen-
derungen der menschlichen Erlebnisrichtung,
die mit industriell-wirtschaftlichen Wand-
lungen und solchen der Verkehrsbedingungen

Zusammenhängen. Natürlich liebt und hasst
der Mensch auch heute, aber das langsame
Auskosten provinzialer Stimmungen darin
hat sich seit der Postkutschenzeit doch
geändert. Ebenso kann man uns nicht mehr,
wie zur Zeit der Verbreitung des Christen-
tums, erzählen dass das Abschlachten von
Heiden ein gottwohlgefälliges Werk sei.
Die Richtung der vom Christentum nicht
aufgesognen Mordinstinkte hat sich ge-
ändert, weil Gott nicht mehr politisch zug-
kräftig ist und die Priester des heidnischen
Kapitalismus verkünden, dass Kommunisten
an die Wand gehören oder die Priester
des Nationalismus verkünden, dass der
Mitmensch durch seine Geburt jenseits der
Grenzpfähle Landesfeind (oder Freund, je
nach der neuesten Abmachung) sei. Man
wird bei einiger Beobachtung merken, dass
im imperialistischen Staat die Sympathien
und Antipathien immer nach dem akuten
Geschäftsproblem gelenkt werden. Die per-
sönliche Qualität des Staatsleiters kann
nichts gegen diese Forderung tun, mensch-
liche Bedenken müssen gegen die „Staats-
raison" zurückgestellt werden. Es muss
also die imperialistische Staatsraison selbst
beurteilt werden und nicht seine Vertreter.
Es ist damit wie mit der Beurteilung des
Kapitalismus. Jeder kennt persönlich wohl-
wollende und anständige Kapitalisten oder
ist selbst einer. Aber diese Anständigkeit
kann gefährlicher sein als eine brutale Aus-
sauger- und Erpresserpolitik, weil sie über
die Grundfrage des kapitalistischen Prinzips
täuscht und dadurch eine Gesellschaftsform
erhalten hilft, die skrupelloseren Geschäfts-
leuten ein Erpressen und Aussaugen ge-
stattet. Nun beruhigt man sich damit, dass
in solchen Fällen die Staatsgesetze regulativ
eingreifen. Aber sie greifen nicht ein wo
es wirksam ist. Jeder kann sich davon

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