Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

DOI Heft:
5. Heft (Sturm-Abende - Sonderheft)
DOI Artikel:
Schwitters, Kurt: An Anna Blume
DOI Artikel:
Runge, Wilhelm: [Rosen nicken aus den Junistunden]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0090

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kurt Schwitters
An Anna Blume
O, du Geliebte meiner siebenundzwanzig
Sinne, ich liebe dir! — Du deiner dich dir,
ich dir, du mir. — Wir?
Das gehört (beiläufig) nicht hierher.
Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer?
Du bist — bist du? — Die Leute sagen,
du wärest — laßt sie sagen, sie sie wissen
nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf deinen Füßen und
wanderst auf die Hände, auf den Händen
wanderst du.
Hallo deine roten Kleider, in weiße Falten
zersägt. Rot liebe ich Anna Blume, rot
liebe ich dir! — Du deiner dich dir, ich
dir, du mir. — Wir?
Das gehört (beiläufig) in die kalte Glut.
Rote Blume, rote Anna Blume, wie sagen
die Leute?
Preisfrage: 1. Anna Blume hat ein Vogel.
2. Anna Blume ist rot.
3. Welche Farbe hat der Vogel?
Blau ist die Farbe deines gelben Haares.
Rot ist das Girren deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du
liebes grünes Tier, ich liebe dir! — Du
deiner dich dir, ich dir, du mir. — Wir?
Das gehört (beiläufig) in die Glutenkiste.
Anna Blume! Anna, a—n—n—a ich träuf-
le deinen Namen. Dein Name tropft wie
weiches Rindertalg.
Weißt du es Anna, weißt du es schon?
Man kann dich auch von hinten lesen, und
du, du Herrlichste von allen, du bist von
hinten wie von vorne: „a—n—n—a“.
Rindertalg träufelt streicheln über meinen
Rücken.
Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir!

Wilhelm Runge
(gefallen 1918)
Rosen nicken aus den Junistunden
trällern sommerblau den Matten hin
mild aus tiefstem Herzen grünt die Heimat
ihre Lippen murmeln wälderschwer
überwelthin schwingt die Sterne Zeit
Kinderwangliebkinderwanggereiht
Krieg brüllt auf
die wilden Blumen Schrein
Sonne leckt Gestöhn aus allen Poren
Frieden holt den tiefen Atem ein
und der Nächte durchgewühlte Locken
schmeicheln um der Seele zitternd Knie
Angst zerreißt der Sterne Himmelsglanz
Und der Abend drückt die Augen blind
einsam geigt
tief hinter Blut geduckt
ewger Kindheit wildumsehntes Glück
und der Sehnsucht über die Welt
hängende Herzen
schlagen
In dich unendlich Meer strömt
all mein Denken
Deiner Hände leichter Wellenschaum netzt
des Sommer heißgespielte Wange
Sonne sucht ihr Gold
in deinem Herzen
von den Muscheln deiner Ebbe
zehrt mein Tag
Matt von deiner Seele Flut
bricht das Ufer meines Glücks ins Knie
Rettung lockt der Stimme grüne Insel
doch es strandet jeder Wunsch
an der Stirne wildgewirrten Klippen
und immer
schließt du deine Augen
erblicke ich das Dunkel dieser Welt

68
 
Annotationen