Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

DOI Heft:
7. Heft
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Zum Film "Potemkin"
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0130

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zum Film „Potemkin64
Menschen sind nicht gemein. Sie werden
nur zur Gemeinheit dressiert. Sie lassen
sich durch ihre angeborene Gutmütigkeit
dressieren. Wie die Löwen und Tiger.
Durch die Macht des menschlichen
Geistes. Man redet ihnen ein, dass sie
nur mit Erlaubnis essen dürfen. Man
redet es den Kindern ein, die glauben. Man
schlägt sie, wenn sie nehmen. Und sie
nehmen nicht, um nicht geschlagen zu
werden. Mit dem zunehmenden Alter
werden die Schläge abstrahiert. Sie
werden und heissen Gewehre. Leute
werden zu Schlägern herangebildet, die
lieber schlagen als geschlagen werden.
Sie bekommen dafür zu essen. Und wenn
sie nichts zu essen bekommen, sind sie
Kinder, die geschlagen werden. So
schlagen sie lieber. Und wenn sie
vor Hunger sich nicht mehr zu halten
wissen, brechen sie aus und zerfleischen
die Dresseure. Essen ist nicht so un-
wichtig, wie die Geistigen glauben.
Geistige sind Menschen, die das Recht
auf Essen für andere formulieren und
für sich beanspruchen. Man nennt die
Geistigen in Europa auch Demokraten.
Ihre Theorie ist, dass auch die essen
müssen, die schon gegessen haben. Auch
wenn sie zur Zeit satt sind. Das Volk
ist an sich anspruchlos, sagen sie, und
das kann noch warten. Tage warten.
Monate warten. Jahre warten. Die Wirt-
schaft muss in Ordnung bleiben, auch
wenn die Gäste hungern. Eine schöne
Wirtschaft. Wirte müssen verdienen.
Denn es ist Verdienst, den Leuten zu
essen zu geben. Satt sein macht begehr-
lich. Und die Begehrlichkeit verhindert
die Arbeit. Und die Arbeit der Andern

dient der Begehrlichkeit der Wirte, die
von den Gästen leben. Die Satten be-
tonen ihre Leiblichkeit durch Schmuck,
damit alle merken, wer satt ist. Damit
die Hungrigen an den Satten eine Augen-
weide haben, weil sie sonst auf ihrer
Weide weit und breit nichts finden.
Vielleicht sind die Schafe für die Wölfe
da. Aber kein Wolf frisst mehr Schafe als
er kann. Tiere aber, die sich Menschen
nennen, fressen aus Wollust den Schafen
alles fort, damit die Tiere, die sich
Menschen nennen, die Wollust an der
Notdurft der Schafe haben. Und wenn
die Schafe, die sich Menschen nennen,
über den Wolf herfallen, wird der Wolf
betrauert, der nun Schaf scheint. Die
ganze Angelegenheit nennt man national-
ökonomisch Gesellschaftsordnung. Oder
auf deutsch: unter Volkswirtschaft ver-
steht man eine Wirtschaft gegen das Volk
oder eine Verwirtschaftung des Volkes.
Plötzlich merken einige tausend Matrosen,
dass man sie körperlich zu Grunde richtet.
Die Kirche hat ihnen den Himmel im
Himmel versprochen, sie möchten aber
einmal auf der Erde auch nicht geschlagen
werden, weil sie eigentlich artige Kinder
sind. Auch erschossen möchten sie nicht
werden, weil sie selbst die Waffen her-
stellen und sie sogar auf Befehl gegen
sich und unter sich an wenden. Sie finden
die Geistigkeit plötzlich etwas dumm, die
Sauwirtschaft auch und sie versuchen, sie
die Waffenträger, die Waffen gegen die
Waffenlosen, die sich und den Andern
den Geist einreden. Den Geist der Ord-
nung. Maschinen funktionieren. Vor den
Maschinen sind wenigstens alle Menschen
gleich. Die stärkeren Maschinen siegen.
Und selbst ein Panzerkreuzer kann von
zehn Panzerkreuzern vernichtet werden.

100
 
Annotationen