Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

DOI Heft:
12. Heft
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Saison in Nizza
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0237

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Saison in Nizza
Das ist das große Leben von Nizza. Die
große Welt auf der Promenade des Anglais.
Auf der einen Seite das Meer. Auf der
anderen Seite die Front der Luxushotels,
nur von einem Cook-Tempel schlicht unter-
brochen.
Drei Türken aus Wien verkaufen Perser aus
Pirna und Shawls aus Chemnitz. Sieben
Jungen aus Nizza Sonnenbrillen und Opern-
gläser. Einundzwanzig Franzosen die drei-
undsechzig Zeitungen aus Paris. Zwischen
Zeitungskiosk und Kasino bietet eine Ungarin
die „Frankfurter Zeitung" und den „Berner
Bund" in hellen deutschen Tönen an, während
eine zweite Ungarin auf französisch mit
russischen Emigrantenbläitern handelt.
Zwischen diesen beiden Damen wird das
Kurpublikum für den Karneval musikalisch
vorbereitet. Der zu machende Schlager der
„Feste 1927" wird von 10 bis 4 Uhr un-
unterbrochen von einer kleinen Jazzkapelle
(gleichsam) gespielt. Eine gesangsfreudige
Dame, Typ Mutter aus Nizza-Stadt und ein
gesangsunfreudiger Herr, Typ Zeitungshändler
aus Paris, singen nicht ohne Gesten und tanzen
nicht mit Talent den Text dazu. Die ganze
Kurliste, die die Namen kennt und die Völker
zählt, bildet drei unlebendige Seiten eines
Quadrats um die auf Munterkeit angestellie
Künstlerschar. Sie selbst bildet die vierte
Seite. Dahinter erglänzt das Meer indessen
weit hinaus.
Während der Musikpause kommt Leben in
die Kurliste. Man bewegt sich und sieht sich.
Der Bankier aus Berlin verlangt von der
deutsch-brüllenden Ungarin „Une Gazette
de Berlin." Wo doch die arme Person kein
Französisch kann und der Bankier auch nicht.
Die Engländer halten ihrer Kleidung nach

die Promenade offenbar für ein Oberdeck
eines Ozeandampfers. Viele Pelze aller Art
wandern mit Damen herum. Auch für Perlen
und Brillanten bilden sie annehmbare Ge-
stelle. Zur Ausstellung von Seidenstrümpfen
hingegen könnte man sich besser Apparate
denken. Warum müssen reiche Leute solche
Gegenstände durchaus selber tragen? Sie
schleppen sich doch auch nicht mit ihren
Rokokomöbeln, Oelgemälden und Marmor-
figuren herum
Und wer auf der Promenade alles erwartet
wird. Die lieben russischen Großfürsten sind
schon alle wieder da. Auch die Hohenzollern-
prinzen. Die Hypothekenmagnaten aus New
York und Brünn. Die Großindustriellen aus
Liverpool und Leitmeritz. Die Minister ver-
schiedener nicht mehr regierender Häuser.
Besiegte Generale und siegende Jockeys.
Italienische Grafen. Amerikaner jeder Handels-
richtung. Afrikaner aus aller Herren Kolonial-
länder. Dänische Volksschullehrer und sechszig
norwegische Nordpolentdecker. Indische
Buddhahändler und australische Penny
a liner. Alle selbstverständlich mit Damen
und Dämchen. Die sind auch sonst dort
zu beziehen. Fast alle Stammbesucherinnen
der Couloirs der Pariser Music-Halls sind
anwesend. Sogar Mme. Nannette mit ihren
„Relations mondaines“.
Das große Leben flutet nur so.
Die Sonne geht unter und die Welt zum Tee.
Man trinkt wirklich Tee. Die Pelze haben
sich ihrer Damen entledigt, die nun frei von
dieser Last sich im Charleston austoben.
Hier, im führenden Hotel, sind alle Herren
Großfürsten oder Nabobs. Andere Persön-
lichkeiten werden vom Portier gar nicht zu-
gelassen. Die unteren Stände haben auch
gar nicht das Bedürfnis sich blicken zu
lassen. Von Sonnenuntergang ab sind sie
wie die Kinder: sie müssen spielen.

187
 
Annotationen