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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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12. Heft
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Walden, Herwarth: Roulette
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0235

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Roulette
Da sitzen sie, auf Ledersesseln, sie, die das
Glück studieren. Rauchen und Sprechen ist
verboten. Viele galonierte Diener sind zur
Durchführung dieser Verordnung angestellt.
Die Studierenden haben auf ihrem Platz
Logarithmentafeln und Zahlendichtungen
ausgebreitet, verfügen über gut gespitzte Blei-
stifte und Notizbücher voll eigener Impressi-
onen. Was schert sie Gewinn oder Verlust.
Hier, nur hier ist Geld Mittel zum Zweck.
Man mißachtet die Croupiers, die sich wo-
möglich einbilden, die Elfenbeinkugel falle,
wohin sie wolle. Die Studierenden wissen
es besser. Die Kugel fällt nach System.
Das wissenschaftliche Problem ist, dieses
System zu ermitteln.
Die Engländerin weiß es beinahe. Sie hat
die Roulette seif sechs Monaten täglich von
zwei Uhr mittags bis zwei Uhr nachts studiert
und alle Zahlen notiert. Sie weiß, daß auf
sechs nach jeder siebenten Runde die ein-
unddreißig folgen muß. Auf Grund dieser
Kenntnis a posteriori spielt sie nur die
siebente Runde und setzt auf einunddreißig,
wenn die Kugel sich auf sechs gesetzt hat.
Und jedes Mal folgt auf die Sechs zwei-
unddreißig. Die Kugel irrt sich oder
der Croupier ist bestochen. Nachdem sie
zehnmal hundert Franc auf ihr System ge-
setzt hat, riskiert sie das elfte Mal nur noch
zehn Francs. Endlich besinnt sich die Kugel
und fällt nach System. Beweis, daß selbst
Kugeln irren können. Bei der zwölften
Runde will sie den Verlust rausholen und
setzt fünfhundert Francs. Die Kugel irrt
sich diesmal total und rollt auf drei. Was
unmöglich ist. Das hat die Kugel in sechs
Monaten nicht einmal getan. Folglich liegt
ein Denkfehler der Kugel vor.

Ein junger Engländer, ein Laie, hat auf die
Drei aus der Hosentasche tausend Francs
gesetzt und gewonnen. Er hat nur aus der
Hosentasche gespielt. Die sechsunddreißig-
tausend Francs machen ihn sofort seriös.
Er erklärt seiner Lady mit den Sommer-
sprossen, daß wissenschaftlich und logisch
die Drei hat gewinnen müssen. Die alte
Engländerin auf dem Ledersessel wirft ihm
einen verächtlichen Blick zu. Zwischen ihren
goldenen Zähnen zischt das Wort Dilettant.
Die Lady mit den Sommersprossen wirft auch
einen Blick, aber einen bewundernden auf
den Gatten und den Kenner der Roulette,
zieht den weißen Glacehandschuh an, nimmt
heroisch das nicht saubere Spielgeld in ihre
schmale Rechte und setzt es auf Rat des
Kenners und Gatten. Und gewinnt. Die
alte Engländerin mit den Logarithmen und
dem Buch von Doktor Müller (Chemnitz)
„Wie sprenge ich die Bank von Monte-Carlo ?
Translation by Doctor Conrid (Tarnopol)“
ist außer sich.
In der sechsten Runde gewinnt drei nach
einunddreißig. Das geht nicht. Das ist gegen
alle Gesetze. Auch Dr. Müller (Chemnitz) hat
es nie erlebt. Trotzdem setzt sie bei der
siebenten Runde vorschriftsmäßig und verliert.
Die Croupiers interessieren sich gar nicht für
die Wissenschaft. Sie warten nur auf Ab-
lösung. Es ist anstrengend, in jeder Minute
soviel Geld einzustreichen, mit einem Holz-
besen zusammenzukraizen und hin und
wieder einigen Wissenschaftlern zur Be-
lohnung für ihren Eifer etliche Francs über
den Tisch zu werfen.
Die Bank von Monte Carlo erklärt durch
Schrift und Bild feierlich, daß sie keinem
Menschen unter keinen Umständen Geld
leiht oder vorschießt. Das tun schließlich
andere Banken auch nicht. Dieses Studium
des Kugelfalls wird täglich von mindestens

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