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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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10. Heft
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Händel, Hugo: Der moderne Gestaltungs-Unterricht auf den preussischen Schulen: Zu der Ausstellung von Schülerarbeiten im Sturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0189

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Hugo Händel
Der moderne Gestaltungs-Unterricht i——
auf den preussischen Schulen
Zu der Ausstellung von Schülerarbeiten im Sturm

Die Pädagogen finden ihre besonderen Ziele
aus den wirtschaftlichen oder geistigen Be-
dürfnissen der Zeiten heraus. Sie streben
danach, Lücken und Mängel zu beseitigen,
indem sie durch immer neue Methoden
schlummernde Kräfte zu neuen Leistungen zu
bringen versuchen.
Wir leben in einer Notzeit. Die ältere Gene-
ration stand, als sie aus dem Felde heimkehrte,
vor einer schier erdrückenden Zahl und Grösse
von Aufgaben. Nicht die Sorge um Granaten
lastete mehr auf uns, sondern die Frage nach
dem Wie und Wohin des geistigen Weges und
die Frage nach dem Schicksal der Jugend.
Darin gab es unter Eltern und Pädagogen
keinen Zwiespalt.
Hier waren sich alle einig. — Sollte der durch
die Kriegsfurie geschundene Volkskörper ge-
nesen, dann musste zuerst die Jugend gepflegt
und gerüstet werden für die Zukunft. Und so
gingen wir denn mehr oder weniger begeistert
an’s Werk. — Und wir alle, die wir zum
Ueberfliessen erfüllt waren von Ideen und
Hoffnungen, wir strömten all unsere aufge-
speicherte Spannung, all unser Ungetanes, all
unsere Fülle in die Aufgaben unseres Berufes
oder unserer Berufung. Wir strömten aus all
unsere Kraft in unsere neuen Bilder, die unsere
eigenen Kinder waren, und strömten über all
unsere Ueberfülle und neue Kraft auf die Jugend,
die uns anvertraut wurde. Missverstanden
und abgelehnt zuerst und zumeist von den
Erwachsenen. Doch verstanden und getragen
von der Begeisterung der Jugend, welche mit
sicherem Instinkt fühlte, dass sie am Anfang
einer neuen Zeit, bald sehr früh selber die Ge-
staltung ihres Schicksals in die Hand nehmen

müsste, und dass sie eine grössere Verant-
wortung in solcher Not- und Sturmzeit tragen
müsste als die Jugend normaler Zeiten. Die
Jugend, welche immer klarer die kommenden
Aufgaben sah und erkannte, dass das Leben
von ihr mehr eigenes, selbständiges Denken,
Arbeiten und Zielsetzen verlangte. —
Wie ein trockener Schwamm saugte diese von
Entbehrung müde und ausgehungerte Jugend
all unser Glühen, Hoffen, Glauben, Strömen in
sich auf. — Was als Experiment so oft ver-
spottet und bezweifelt ward von Müden, was
uns oft selber mit banger Sorge erfüllte, was
oft im langsamen Werden, in zaghaften Ver-
suchen entstand, das ewig fortschreitende Leben,
die Zeit half es klären und stützen. Waren es
zuerst nur Wenige, die, den Sinn und die Auf-
gaben des neuen Jahrhunderts ahnend und die
neue Form wollend, ihren Weg gingen fern
den alten Methoden, die Zahl der Mitschaffenden
wuchs, wie ein Fluss aus tausend und aber-
tausend Quellen wächst und schwillt. — Einer
trug den andern. — Und wir alle, Lehrende
und Schüler, fühlten uns als Mitschafiende,
Mitgestalter dieses Jahrhunderts; wir fühlten
den lebendigen Puls einer neuen Zeit, die
unsere Hoch-Zeit werden soll, einst, bald.
Wir wollen froh sein dieser neuen Zeit, dieser
reichen wenn auch so harten Aufgaben, grade
weil wir arbeiten, weil wir offenen Auges und
Sinnes in unsere Zukunftsaufgaben hinein-
wachsen dürfen.
So fühlen wir eine Abkehr von der historischen
Einstellung zum Leben als notwendig. —
Wir wollen zuerst Menschen der Gegenwart
und Schaffende der Zukunft sein, dann Be-
trachter und Genießer der Vergangenheit. Nur

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