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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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8. Heft
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Ring, Thomas: Die Krise des Imperialismus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0158

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Thomas Ring
Die Krise des Imperialismus
Schluss
Es wird von den Verteidigern des alten
Systems eingewandt, dass die einzelnen
Menschen von Natur verschieden seien und
dass „Gleichmacherei“ gleichbedeutend mit
Verflachung sei. Betrachten wir daraufhin
die Ordnung in einem primitiven Stamm
oder einer Anzahl Menschen die unter pri-
mitiven Lebensverhältnissen etwas gemein-
sames tun wollen, so sehn wir alle Ver-
schiedenheiten der Anlage bei einer Unge-
schiedenheit an Rechten wirksam. Wer im
gegebenen Augenblick eine führende Idee
hat, dem folgen die andern, nach der
Leistung tritt er wieder in die Kollektivität
ein und folgt dem lebendigen Fluss des
Geschehens. An wen im gegebenen Au-
genblick eine besondere Arbeit herantritt,
die er bewältigen kann, der verrichtet sie,
ohne dass er dadurch verpflichtet ist, stets
solche Arbeiten zu tun. Diese Ordnung
lässt sich nicht erhalten, sobald in der über-
wiegenden Zahl von Einzelmenschen der
Egozentrismus den Kollektivismus überwiegt.
Der Zeitpunkt dafür muss eintreten durch
beginnende Ermüdung und durch verstärkte
Anspannung des Gesamtwillens. Bei Er-
müdung - Zerlegung der Kollektivität in
Einzelinteressen — sondert sich eine Schicht
aus, die immer mehr das Gleichmass fest-
bestehenden Erlebniskapitals im Fortschritt
sucht, die in der wechselnden Lebens-
problematik den ruhenden Faktor in der
Wiederholung bestimmter Dinge erhält. Es
entsteht der Typ des Verwalters und Nutz-
niessers, des Bewahrers von Formen und
Gebräuchen, des Erhalters der Regelmässig-
keit, in jedem Falle eine Mittelschicht, die

die Tradition weiterträgt, mit ihrem Ueber-
handnehmen aber die Aktivität der ganzen
Gemeinschaft lahmlegen kann.
Bei stärkeren Forderungen von aussen
züchtet sich aus innerer Anspannung
ganz von selbst eine Führerschicht. Da-
durch entsteht äusser der Mittelschicht der
langsamsten Anpassung und der Traditions-
bewahrung ein oberer und ein unterer
Exponent der Gesellschaft, auf denen die
Anlage und zweckmässige Gruppierung des
Ganzen wie die Arbeit der Durchführung
ruht. Je anspannender das Verhältnis
zwischen dem Gestaltungswillen der Kollekti-
vität und den für die Gestaltung im realen
Dasein gegebenen Bedingungen ist, umso
schärfer ist die Auswahl im Heranzüchten
besonderer Führerbefähigungen, einer Klasse
die um die alle Handlungen der Gemein-
schaft bewegenden Absichten weiss und die
Erfinderkraft auf knappste Zweckmässigkeit
darin richtet. So geschieht die Auslese der
Häuptlinge und des Kriegsadels oder des
Kultadels, wenn junge Völkerschaften auf
dem Plan der Geschichte mit anderen in
Wettbewerb treten, so vollzieht sich eine
Auslese bei jedem Gemeinschaftsunter-
nehmen, das mit anderen in Wettbewerb
tritt. Die Grund-Dialektik (das Hin und Her
der Probleme) im persönlichen Leben des
Führers bekommt damit einschneidendere
Folgen für das Ganze, weil seine Tätigkeit
mehr mit den Angelegenheiten Anderer als
mit eignen verknüpft ist. Ein sich immer
wiederholender dialektischer Irrtum der
Führerschicht hat bisher zum Niedergang
jedes Gemeinschaftsunternehmens geführt.
Die Notwendigkeit der Disziplin im Daseins-
kämpfe des Ganzen fordert die Erteilung
der Befehlsgewalt an die Führer. Der
kleinste Fehler in der Selbstkontrolle läßt
sofort eine Verwechslung zwischen über-

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