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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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7. Heft
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Schwitters, Kurt: Mein Merz und meine Monstre Merz Muster Messe im Sturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0136

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Mein Merz und ==
Meine Monstre Merz sz
Muster Messe im Sturm

Als ich seinerzeit zum ersten Male Merz

im Sturm ausstellte, war es mir darum
zu tun, alles für die Kunst nutzbar zu

machen, und meine künstlerischen Fähig-
keiten an jedem beliebigen Material zu
erproben. Denn Kunst ist nichts anderes
als Gestaltung mit beliebigem Material.
Im Laufe der Zeit gelangte ich zu einer
gewissen Auswahl, indem ich mir voll
bewusst war, dass diese Auswahl nur

ein privates Vergnügen ist. Heute ist
mir das Wichtigste die präzise Auswahl
und die präzise Gestaltung. Nicht als ob
ich dadurch etwa ein fertiges W erk schaffen
zu können glaubte. Denn es ist unmög-
lich, auf dieser Welt etwas schlechthin

Vollendetes zu schaffen.

Für diejenigen aber, die behaupten, wir
alle malten jetzt wieder wie früher nach
der Natur, möchte ich erklären, dass
meine neuen Arbeiten mit Kopie der
Natur wenig zu tun haben. Auch der
Einfluss von Ingres auf mich ist doch nur
sehr gering zu nennen. Ich selbst bin
es mir kaum bewusst, aber ich bin auch
nicht Picasso. Der Kritik würde ich Vor-
schlägen, lieber zu schreiben, ich wäre
von Moholy, Mondrian und Malewitsch
beeinflusst, denn wir leben im Zeitalter
des M, siehe Merz. Man nennt das Mon-
struktivismus. Vor einigen Jahren hiess
es noch: „Kandinski, Klee, Kokoschka44,
alles mit K. Davor hiess es Lissitzky
mit L. Wir machen eben das ganze
ABC der Entwicklungen durch. Heute
ist nun die Mode bei M angelangt, weil

eben das Alphabeth so weitergeht. Und
eines Tages, wenn die Entwicklung bis
S gekommen sein wird, heisst es plötzlich:
„Schwitters44. Ja, ja, Kunst ist Mode.
Sie fragen, weshalb ich nicht mehr jedes
beliebige Material verwendete? Nicht als
ob ich die Gestaltung jeden Materials
erreicht hätte, sondern das kann man
nicht, es ist schlechterdings unmöglich
und endlich auch unwichtig. Wichtig ist
nur das Prinzip. Heute ist es die präzise
Form, die ich Ihnen zeigen will neben
geklebten und genagelten Arbeiten wie
früher. Nicht als ob mir die Form das
Wichtigste wäre, denn dann wäre meine
Kunst dekorativ. Nein, es ist das Lied,
das in mir klang, als ich arbeitete, das ich
in die Form hineingegossen habe, das nun
auch zu Ihnen klingt durch die Form.
Sind sie musikalisch? Ich meine musi-
kalisch für Farben, Flecken und Linien?
Übrigens denken Sie nie, dass ich im
Kampfe mit der alten Kunst lebte. Ich
kämpfe gegen das Alte, nicht gegen die
Kunst. Ganz im Gegenteil will ich ein
Instrument mitschaffen helfen, das jeder
Künstler verwenden kann.
Aber was das Instrument anbelangt, bin
ich der Meinung, dass sich keine Zeit
genügend selbst kennt, um zu wissen, was
in ihr wertvoll ist und bleibend sein wird.
Gewiss, wir haben heute eine Zeit der
Technik, das unterscheidet uns von
früheren Zeiten. Es wird uns von späteren
Zeiten nicht mehr unterscheiden, denn
wir werden die Maschine behalten. Wir
haben auch eine Zeit des Verkehrs, der
praktischen Erfordernisse. Das alles wird
bleiben für die Zukunft. Aber ob die
Kunst im Sinne der Technik arbeiten
soll, kann mir niemand beweisen. Gewiss
hat der Konstruktivismus seinen Wert,

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