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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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6. Heft
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Ostwald, Wilhelm: Farbenschönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0108

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wahrscheinliche Schluss, dass als Ursache
der Harmonie der Farben in den Haupt-
schnitten ihre gesetzliche Ordnung
anzusehen sei.
Die Wissenschaft kennt längst das Ver-
fahren, das in einem solchen Falle ein-
zuhalten ist. Man nimmt vorläufig an,
der Schluss sei richtig und wendet das
entsprechende Gesetz auf möglichst viele
und möglichst fernliegende Fälle an, die
noch nicht in Betracht gezogen waren.
Stimmt auch hier das Gesetz, so- darf
man es als gültig ansprechen, stets unter
Vorbehalt künftiger Begrenzung, Er-
weiterung, Neufassung oder was sonst
die Erfahrung fordern mag. In der
Hauptsache aber pflegt ein solches Gesetz
bestehen zu bleiben.
Hier lautet die versuchsweise Fassung
des Gesetzes: Ordnung ergibt Har-
monie. Wie steht es nun mit anderen
und fernliegenden Fällen? Bewährt sich
auch dort ein solches Gesetz?
Wir wenden uns zu den anderen Künsten,
zunächst zur Tonkunst. Töne entstehen
aus jedem beliebigen Geräusch, wenn
dieses in genau gleichen Zeitabständen
(zwischen 20 bis 20000 mal in der
Sekunde) wiederholt wird. Damit zwei
verschiedene Töne harmonisch sind,
müssen diese Wiederholungen, die
Schwingzahlen in einfachen Ver-
hältnissen zu einander stehen, wie 1: 2,
2:3, 3:4, 4:5, 5:6, so dass sie sich
geordnet übereinander lagern können.
Alle Tonpaare, welche diese Bedingung
nicht erfüllen, klingen unschön oder
sind unharmonisch.
Ferner folgen in der Tonkunst ver-
schiedene Töne zeitlich aufeinander.

Auch diese Zeiten müssen geordnet sein,
wenn eine wohlklingende Folge, eine
Melodie entstehen soll. Alle Musik ist
dem Gesetz des Rhythmus, d. h. der zeit-
lichen Ordnung unterworfen. Dieses
Gesetz wird als so bindend anerkannt,
dass der Ausspruch des geistvollen Bülow:
im Anfang war der Rhythmus, als eine
grosse Wahrheit empfunden wird. Wir
sehen aber, dass es sich um einen Sonder-
fall eines noch allgemeineren Gesetzes
handelt, dessen Ausdruck im gleichen
Stil lauten würde: im Anfang war die
Ordnung. Oder, was dasselbe sagt: im
Anfang war das Gesetz.
Tatsächlich brauchen wir nur einen Blick
in die anderen Künste zu werfen, um das
gleiche Grundgesetz anzutreffen. Vers-
mass und Reim sind nichts als neue Einzel-
fälle des allgemeinen Ordnungsgesetzes.
Aber jeder Dichter weiss, dass nicht nur
seine Worte, sondern auch seine Gedanken
eine bestimmte Ordnung einhalten müs-
sen, damit sein Werk vollkommen wird.
Welche Ordnung bestimmt er selbst nach
den Erfordernissen seiner Arbeit; hat er
sie aber einmal gewählt, so hält er sie
auch ein. Das ist es, was Hans Sachs
dem jungen Walter einprägt, um ihn
aus einem naturalistischen Sänger zu
einem Künstler zu machen: dass er seinen
Gesang gesetzlich, nach der „Regel44 ge-
staltet. Und woher kommt die Regel?
Der alte Meister antwortet: ,Ihr stellt
sie selbst und folgt ihr dann4.
Es wird kaum nötig sein, die Geltung
dieses allgemeinen Gedankens in den
andern Künsten nachzuweisen. Die Archi-
tektur wird ganz und gar durch ihn be-
stimmt, und ebenso ist er für die Plastik
 
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