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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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8. Heft
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Mette, Alexander: Leere
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0152
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Alexander Mette
Leere
Der nackte Mensch steht vor der Kälte
Weite helle Winternacht frierbleich. Glas
gläsert Fensterfreie. Gläsert Leere. Das
Jahr durchkältet. Alt. Das zwanzigste Jahr-
hundert blauverbleicht die Ebenen Europa.
Anzug schlottert tuchbreit und webefest
gastglases Hirn.
Sterne Himmelweite und die bleiche Schnee-
leere Europa. Die Züge Soldaten vor 100,
200, 300, 400 Jahren zogen hier. Strapazen-
zerfressene Soldateska Napoleons, Friedrichs,
Banden Räuberzüge der Heere des sieb-
zehnten Jahrhundert. Behangen mit der
Trommel des Trommelschlägers. Gegliederte
Schädel, scharfäugige Geier unter Feldherrn-
hüten, zusammengefallene Schmalgestalten
nervvibrierender bewusster Sinnträger der
zu vollführenden Aktionen zwischen sich:
Menge und Führer auf dem Wege zu Irgend-
etwas, das gemacht werden soll. Warum?
Das gemacht werden soll!
Jemand hat das Grosse vor. Tat. Die Städte
überschimmert Himmel. Sternbild blinkfunkt.
Sonst ist weite Leere, die Kälte Nacht, nur
dass Pferde gehn und warme leiblich fühl-
bare Vollstrecker von diesem Etwas sind,
das Wille heissen will. Es gilt etwas. Es
gilt die Wege hinter sich bringen. Es gilt
das Ziel fassen. Es gilt dem Gegner.
Gegner ziehen zielentgegen. Wohin? Hin!
Und her! Das Land liegt leer. Wer füllt
Weite, Fläche, ewig Gestrecktes? Die Ferne
dehnt ewig. Dei* leere Sternraum blinkt
die Kälte Ewigkeit über die Willen weg.
Die Ahnung: Treffen, Schlacht, Zusammen-

stoss, Aufstoss der Tore, Hitze, Leben, Blut,
Verströmen, Du Feind Du Freund und
Jagen Raffen Schlagen Haben setzt rote
Lichter: „Dort“ an irgendeine Stelle Horizont.
Der Sieger hat. Der Sieger wird das Fass-
liche haben. Das Da. Das Dort. Er fasst
das Haben. Er hat das Fassliche. Die lohe
Glut Haben, in Gewalt, „Du Erde, wir haben
Dich“, „Ihr Städte, wir haben Euch“, brennt
Wärme in die Kälte Nichts. Der Taktiker
der Schlachten hegt die harre Hoffnung der
Menge Menschen, die nichts hat, kein Ende
sieht, nichts sieht, Kälte fühlt, bleiche Bläue
flieht und flichflucht und das Ende: Dich
haben, greifen, fassen, fassen um, verfassen
sucht.
Gedanken, die die traurige Minute herum-
steuern wollen: Wir sind voraus. Wir. Weit!
Wir Nichttäter. Das Tun ist tot. Ist Nichts-
tun Tod, wenn Tun tot ist? Wir sind die
scharfen Seher Sperber um die Gurgel jeder
Vorstellung, die wir abhalftern wie der
Schnitter ehmals dünnscharf schnittig mit
der Schneide Sense Korn. Keine Wölbung
Himmel über gestaltetem Winkel Stadt Land
Landschaft, die vor dem Auge unserer
empfängnissicheren Sehkraft hindurch nicht
in die Fläche dieser Leere Weltraum zurück-
bog. Physiognomien, Bauten, Gestaltetes
von Menschenhänden: dies alles Geistige
durchfrass die Einlebung in jede Regung
vom Mensshen vorwärts in die Höhe Welt.
Und wir in Allem Stehenden haben diese
eine grosse Leere Raumweitc allem zu
Häupten als das letzte Rätsel näher offen-
ausgestreckt vor uns — wie der Mann mit
der Steinaxt Krokodil und Drache, vor
denen er aus wich und die er doch erjagen
wollte irgendwann, wieder, wenn der Eifer
„vorwärts!“ ihn anblies.


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