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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 17.1926-1927

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12. Heft
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Walden, Herwarth: Kinderspielplatz im Weltkurort
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https://doi.org/10.11588/diglit.47216#0230
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Kinderspielplatz
im Weltkurort
Nina, die vierjährige Spanierin, wird von
ihrer langen Mutier auf die Erde gestellt.
Sie hüpft mit beiden Füßen zugleich zur
Bank unter den Palmen, und patscht der
französischen Bonne in die Handarbeit.
Von der Bank gegenüber unter Palmen
erhebt sich ein Greis am Ende des Lebens
auf einem weißen Sonnenschirm und einem
Spaziersiock. Seine Augen sind gegen das
Licht der Erde durch eine schwarze Brille
abgeblendet. Aus ihren Bügeln kriecht
weißes Haar über die verfallenen Backen.
Die Mutter Spanierin steht, große Dame, fest
auf hohen rosa Beinen. Ihre rechte gold-
beschwerte Hand wirft Cheri, dem Hündchen,
den Ball zu. Cheri macht mit seinen vier
Beinen zwei Schritte und läßt den Ball auf
sich beruhen. Die Bonne schickt Nina nach
dem guten Ball. Und Nina macht auf ihren
zwei Beinchen vier Schritte hin zu Cheri, der
mit staunenden Kinderaugen auf den her-
anschlotternden Greis schaut, der vier Beine
hat. Nina aber ist sehr böse auf die Ab-
gewand Seit von Cheri und drückt ihm die
beiden Händchen fest und wieder und wieder
auf die Augen. Das Hündchen ist leicht
verwirrt, aber ohne Widerstand. Nun nimmt
Nina seinen Hals in ihre Arme und schleppt
ihn freundlich ziellos irgendwo. Das Hünd-
chen fühlt sich leicht geniert, ist aber ohne
Widerstand. Auf der Bank unter Palmen
neben der Bonne hören zwei Nadeln auf
zu klappern und unter einer Hornbrille
klappert nun eine Stimme von malträtierten
Hunden und schlecht erzogenen ausländi-
schen Kindern. Die Mutter Spanierin wirft
ihre überröieten Lippen fast in den Himmel,

während die Bonne erklärend bemerkt, daß
es dem Hund nicht weh tue, da er schon
daran gewöhnt sei. Indessen hat Nina das
Hündchen fallen lassen. Es wirft sich auf
den Boden und Nina setzt sich wohlwollend
auf es und preßt so viel von seinen Beinen
in ihre Fäuste, als hineingehen. Cheri knurrt,
ist aber sonst ohne Widerstand. Der Greis
ist beinahe über die Beiden gefallen. Er
wendet die gütige Weisheit des gütigen Alters
an: er wird dich beißen. Kleine, auch Hunde
sind Lebewesen. Hunde sind viel besser
als Menschen, klappert die Stimme unter
der Hornbrille. Viel besser. Welcher Mensch
würde sich das gefallen lassen. Ich nicht.
Ich bestimmt nicht. Aber wenn die Jugend
heute so erzogen wird, muß die Menschheit
verwildern. Die Menschheit ist verwildert,
plappert die Greisenstimme. Wo sind meine
Kinder, daß ich mich auf sie stütze. Cheri
versucht aufzusiehen, da springt Nina nach
und preßt seine Hinterpfoten fest und
nicht ohne Liebe gegen ihre kleine Brust.
Wollen Sie sich nicht des Hundes erbarmen,
Fräulein, klappert die Stimme, oder ich
werde selbst eingreifen. Da steht Nina
plötzlich vor der Bank und legt den guten
Ball freundlich auf den Schoß der Stimme,
während Cheri voller Entzücken bellt. Die
Bonne, in ihren erzieherischen Fähigkeiten
beleidigt, holt Kind und Hund und Ball zu
ihrer Bank. Sie haben recht, Madame,
flötet eine feiste Stimme unter einem
schwarzen Schlapphut in die Stricknadel
hinein. Sie haben recht, Madame, Tiere
sind Geschöpfe Gottes, die unser Vater nicht
zu unserem Vergnügen geschaffen hat. Wo
sind meine Kinder, daß ich mich auf sie
stütze. Und nun Kinder, jubelt die Führerin
der fünf Siebenjährigen, nun spielen wir
Revolution. Ich bin Bolschewik und ihr
seid Engländer und ich verhaue euch alle

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