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Treu, rein und ungetrübt ist der Spiegel des alten Stadtbildes. Die groß*
artigsten Bauten gehören dem höchsten Gedanken: Glaube, Gott, Religion.
Das Gotteshaus beherrscht jedes Dorf, jede kleine Stadt, und die Kathedrale
thront mächtig über dergroßen Stadt, ganz anders, als wir es heute noch bei
dem über den alten Plan hinausgegangenen Stadtbilde mit den Mietskaser*
nen empfinden. Daß es der religiöse Gedanke war, der diese Mächtigkeit
erzeugte, darüber braucht keine Rücksicht auf Verteidigungszwecke u. dgl.
zu täuschen. Die oft hochragende Stellung der Burg oder des Burgschlosses
hat damit nichts zu tun. Dabei waren es praktische, fortifikatorische Mo-
mente, die ihre herausragende Stellung erzeugten und die es ja für die heu*
tige Kriegführung nicht mehr gibt. Die Kathedrale mit ihrem wahrhaft un«
zweckmäßigen Schiff und dem noch unzweckmäßigeren Turm (Zweck als
Notdurft) bleibt die eigentliche Stadtkrone. Die Rathäuser, Stadthallen,
Gildenhäuser usw. ordnen sich trotz der starken politischen Selbstständig»
keit der alten Stadt unter und sind bei aller eigenen Schönheit und Herr-
lichkeit bunte Edelsteine um den einen funkelnden Diamant. In ihm ruhte
alles, was sich als höchste Idee repräsentieren sollte. Die Stadtmauer mit
den Türmen, dann die von ihrer Kette umschlossenen Giebelhäuser, das
Rathaus, die kleinen Kirchtürme und zuletzt die Hauptkirche, — dies alles
bildete einen geschlossenen, sich sehr deutlich zur Spitze steigernden Rhyth«
mus. Er mag im Reichtum quellenden Lebens nicht immer so klar zu erken?
nen sein, aber die Tendenz ist offensichtlich. Die klerikale Repräsentation
allein kann dieses Streben nicht erklären, da sie doch die Folge der tieferen
religiösen Bedürfnisse war. Ganz gleich, wie wir das Phänomen zu begrün*
den versuchen, ob es in der Absicht und im Bewußtsein der alten Meister
lag oder nicht: es ist da und ist untrennbar mit unserem Begriffe von der
alten, der schönen Stadt verknüpft. Wir finden dieselbe Erscheinung in
ferner liegenden Zeiten, ja noch gesteigert, bei den Riesentempelanlagen
des Altertums, bei den Tempeln und Pagoden Asiens, wo der Fortfall der
Festungsmauer oftmals einen noch gewaltigeren Gegensatz zu den Wohn*
hütten hervorruft.

DASCHAOS

Ohne nähere Begründung empfindet man das alte Stadtgebilde als einen
gewachsenen Organismus. Besonderheiten der örtlichen Lage ergaben
die zahllosen Variationen — das Wesentliche, wie sich die Stadt um den
Dom, das Rathaus bis zu den Stadtmauern entwickelt, die ursprünglich

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