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selbst in ihnen trat das Rathaus nicht an die erste Spitze. Dem modernpn
Gefühl liegt es ganz fern, der Stadtverwaltung eine solche Bedeutung gegen*
über dem Staatsganzen einzuräumen.

Bei dem Aufflackern der nationalen Empfindungen infolge des großen
Völkermordens wäre es vielleicht der Staatsgedanke, der geeignet wäre,
Ausdruck des höchsten Bauwillens der neuen Stadt zu sein. Im Altertum
verquickte sich der Staatsgedanke so eng mit der Religion, daß die Akro»
polis oder das Forum mit Tempeln gleichzeitig Sitz der höchsten Gerichts«
barkeit, des Areopags, der höchsten Behörden war. Eine Nachahmung dieser
Verhältnisse würde heute aber nichts als Nachahmung sein und unser Volks*
Ieben nur um einen weiteren Imitationsirrtum bereichern. Überzeugt von
der Bedeutung des Staatslebens werden wir es doch nie mit sakralem Glanze
umgeben können. Unser Gefühl und unsere Dankbarkeit dem Staate gegen-
über beruht darauf, daß er es uns durch seine gute Einrichtung möglich
macht, der Vertiefung in unsere Lebensaufgabe und Hingabe daran zu leben.
Er ist der Sammelbegriff für alle dadurch erzeugten Werte und existiert nicht
über oder außer uns, sondern in und unter uns. Alexander von Gleichen*
Rußwurm sagte am 5. Februar 1916: »Das Ideal des deutschen Staatsbürgers
bestand in letzter Zeit immer mehr darin, den Staat für sich denken zu lassen,
dem man es wahrlich nicht verübeln kann, daß er sich schließlich des Denk*
mechanismus bemächtigte. Sollen wir aber nur für den Staat erzogen werden?
Dieser Gedanke eines durchgreifenden Drills aller gilt der Welt als das
deutsche Ideal, aber er ist nicht das deutsche Ideal. Der Staat ist nach unserer
Auffassung nicht Selbstzweck, organisierte Macht, sondern ein Gebilde mit
der Aufgabe, den Interessen aller Staatsangehörigen zu dienen, die ihrerseits
das Recht haben, über die Erfüllung dieser Aufgabe zu wachen und die
Tätigkeit der Organe zu kontrollieren.« Und Nietzsche schreibt in »Scho>-
penhauer als Erzieher«: »Alle Staaten sind schlecht eingerichtet, bei denen
noch andere als die Staatsmänner sich um Politik bekümmern müssen, und
sie verdienen es, an diesen vielen Politikern zugrunde zu gehen.«

Diese Auffassung vom Staatsbegriff findet ihren deutlichen Ausdruck darin,
wie sich die Staatsbauten in das Stadtbild einfügen. »Die Stellung der Staats«
bauten hat sich gegen früher wesentlich geändert. Im Altertum und zum
Teil noch im Mittelalter war jede größere Stadt ein Stadtstaat. Staatliche
Bauten waren städtische Bauten. Staatswohl war Stadtwohl. Die Eigenart
der öffentlichen Bauten war durch die örtliche Begrenzung gegeben. Seit»

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