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denden Stände und Nationen hinweg und verbindet den Menschen mit dem
Menschen. — Wenn etwas heute die Stadt bekrönen kann, so ist es zunächst
der Ausdruck dieses Gedankens.

Dies wird der Architekt gestalten müssen, will er sich nicht selbst über*
flüssig machen und will er wissen, wofür er lebt. Was hat es schließlich auf
sich, dieses oder jenes Häuschen oder Gebäude hübsch zu machen, wenn
wir nicht das große Element kennen, das alle kleinen Wässerchen speist!
Aus dem Fehlen dieses Wissens entstand ganz mit Recht die geringschätzige
Anschauung über Architektur, die eingangs geschildert wurde. Die Archi*
tekten sind daran mit schuld. Wenn sie nicht um ihr letztes Ziel wissen,
wenn sie nicht in Hoffen und Sehnen wenigstens das Höchste ahnen, dann
hat ihre Existenz keinen Wert. Dann verliert sich ihre Begabung im gewerb*
lichen Kampf und verzettelt sich in ästhetelnden Kleindingen und Über*
schätzung des Kleinkrams. Sie müssen sich in Verhimmelung des Alten, in
Eklektizismus oder begrifflichen Spekulationen, wie Heimatkunst, Zweck,
Material, Proportion, Raum, Fläche, Linie usw. erschöpfen und sind schließ*
lich ganz undgar außerstande, etwas Schönes zu machen, da sie sich von dem
letzten unerschöpflich sprudelnden Quell des Schönen ganz getrennt haben.
Auch alles Studium der alten Baustile hilft dann nichts; dennsie bleiben so
nur an den Einzelformen kleben, weil ihre Augen blind sind für das Licht, das
alle die herrlichen Einzeldinge durchstrahlt. Der Architekt muß sich auf seis
nen hohen, priesterhaft herrlichen, göttlichen Beruf besinnen und den Schatz
zu heben suchen, der in der Tiefe des Menschengemüts ruht. In voller Selbst*
entäußerung vertiefe er sich in die Seele des Volksganzen und finde sich und
seinen hohen Beruf.indem er, als Ziel wenigstens, einen Materie gewordenen
Ausdruck für das gibt, was in jedem Menschen schlummert. Ein glück*
bringendes, baugewordenes Ideal soll wieder erstehen und alle zum Be*
wußt sein führen, daß sie Glieder einer großen Architektur sind, wie es
einst war.

Dann blüht endlich wieder die Farbe auf, die farbige Architektur, die heute
nur von wenigen ersehnt wird. Die Skala der reinen ungebrochenen Farben
ergießt sich wieder über unsere Häuser und erlöst sie von ihrem toten Grau*
in=Grau. Und die Liebe zum Glanz erwacht: der Architekt scheut nun nicht
mehr das Blanke und Glänzende. Er weiß es nun zu verwerten und kann
von seiner neuen Warte aus, fern vom alten Vorurteil, alles und jedes zu
neuer Wirkung verteilen.

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