Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mühe sauber aus dem Ganzen herauslösen könnte. — Aber sehen wir auch
einmal in das Nebengemach, hinter den Rücken des Hl. Lukas. Dort liegt
ein Buch auf dem Lesepult. Sind nicht seine beschriebenen Spalten, gerade
so wie sie da sichtbar werden, mit den umrahmenden weißen Rändern,
abermals der Typ des Triptychons aus drei rechteckigen Feldern? Und noch
weiter ließen sich die psychischen Zusammenhänge ohne alle Gewaltsamkeit
verfolgen. Über dem Lesepult steht im Fenster eine schmale hohe Scheibe
offen. Wir sehen durch die gemalte Fensterrahmung in die gemalte Land«
schaft, und genau wiederholt sich hier das Format des Buchspiegels. Es er-
scheintalso im Fensterrähmchen noch einmal ein kleiner Ausschnitt aus der
Natur, vom Maler offenbar mit Behagen als neues Bild im Bilde empfunden,
ein Ausschnitt, wie er auch außerhalb des nur Gemalten, wie er auch in der
Wirklichkeit dem Maler als Bildinhalt fast schon genügen würde. Hier schon
ganz am Anfange der naturalistischen Entwicklung sehen wir den zufälligen
Fenster== oder Türausschnitt als bildergebendes Element, dem Maler unbe*
wußt, auftauchen.

Die vorausgegangene Betrachtung dürfte den Lesern selbst den Gedanken
bereits eingegeben haben, daß in dem Bilde des Rogier eine merkwürdige
Spaltung des Bewußtseins vorliegen müsse. Und so ist es in der Tat. Nur
die Benutzung der Triptychonform, die leise Neigung über das einzelne
Bild hinaus, weist noch in etwas auf den früheren Reichtum zurück, und in
dem am Boden sich ausbreitenden Mantel der Madonna, der einen schwe*
benden Bogen beschreibt, scheint noch eine letzte Erinnerung an hoch in
Zwickeln sich ausgießende Gewandung der Göttlichen fortzuwirken. Sonst
aber ist das Bild wie ein ausführliches Programm der neuen Zeit.

Keineswegs verliere ich, wenn ich näher darauf eingehe, das Schicksal der
Baukunst aus dem Sinn. Es ist die Ermattung der Baukunst, der wir hier
folgen. Denn alle die Schwächungen, die fortgesetzt das Bild erleidet, sind
nur möglich, weil der Stamm fortgesetzt mehr und mehr Säfte verliert.

Es gibt jetzt statt der idealen Fläche auf ihr einen Vorder* und einen Hinter-
grund. Rogier malt im Vordergrunde die heilige Szene. Noch fühlt man,
ich wiederhole es, in der Gestalt der Maria vom Zipfel des Mantels her
bis zum geneigten Haupt einen Rest von Schmiegen in den Zwickel einer
Wölbung. Hier ist noch ein wenig Schweben — genug, um uns an dieser
Madonna zu erfreuen. Aber schon das Gewand des Hl. Lukas ist unsicher.
Die Falten seines roten Mantels stocken. Sie wollen nicht mehr frei und weit
schwingen, aber der Versuch, sie gegenständlich zu konstruieren, zu motb

123
 
Annotationen