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eine einfarbige Folie, nicht gleichzeitig mit den Figuren entstanden, nicht
aus einer Bewegung mit ihnen, sondern die nachträgliche Füllung der kolo^
ristischen Lücke.

Man bewundert stets bei Vermeer mit Betonung seinen feinen Ge-
schmack, und niemand wird ihn leugnen. Aber diese Betonung des Ge-
schmackes schließt bereits das Urteil ein, daß bei Vermeer die Kunst
der Farbe, um von dieser allein zu reden, nicht mehr Totalität ist, sondern
bereits zur Proportionalität erstarrte. Seine so überraschenden Geschmacks*
leistungen sind keine Einheiten mehr im höheren Sinne. Sie ergeben sich
nicht notwendig, fertig, aus einer höheren, dahinter wirkenden Einheit, wie
wir das noch bei Piero della Francesca fanden, sondern sind nur Beweise für
das dort schon angekündigte Suchen nach einer Einheit innerhalb des Bildes.
Rechnungsmäßig ergibt sich der eine Teil nach dem anderen. Die Summe
ist stets in allen Bildern dieser Art die nämliche, sie wird nur immer anders
aufgetrennt. Über die menschliche natürliche Erfahrung hinaus, ins Uner»
forschte, Neue, läßt sich hier kein Schritt tun. Das Bild wird ein Rechens
exempel. Daher erscheinen die Bilder auf die Dauer so leer. Wem fiele es
hier nicht auf, daß die kantischen Begriffe des analytischen Urteils und des
synthetischen Urteils a priori in dem Gegensatz alter und neuer Bildkunst
ihr reinstes, klarstes Anologon haben?

In den Bildern der alten transzendentalen Einheit gab es keine ausge-
sprochenen Gegensätze. Jetztwird der Gegensatz ein Hauptmittel der Effekt»
bereitung, im besprochenen Bilde z. B. der Gegensatz des reichen, leuchtend
lachsroten Kleides vor der dumpfen komplementärenWand. Dasselbe wieder>-
holt sich im kleinen in dem bunten Glasfenster mit seinem Wappen. Von
dem tiefen Reichtum der Kirchenfenster blieb nichts als ein billiger Effekt.

Nun sucht der Maler nach den verschiedensten Mitteln, die schicksalhafte
Leerheit seiner Bilder zu verdecken. Er liebt es, anekdotisch=psychologische
Momente einzuführen. Und damit nähert er von neuem seine Darstellungen
einer Sphäre, der sie schon ohnehin zustrebten: dem Bühnenhaften. Hier
setzt, um eine Einzelheit herauszunehmen, der Blick des Mädchens ganz
deutlich die Beziehung auf ein Publikum vor der Rampe voraus. Der ge-
bildete Mensch von heute bewegt sich überhaupt nicht in seiner »Wirkungs*
welt«, wobei ich mich eines Ausdruckes Jacob von Üxkülls bediene, son-
dern in der Bühnendekoration eines Theaters und nach der Regie eines Ar*
tisten, der konsequent aus allem das Wesentliche zu vertreiben weiß. —

Mit jener unerschütterlichen Logik, die in allem Künstlerischen wirkt, er*

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