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Einleitung.
Die irdische Liebe als Verlangen nach der Frau erstarb in der
Liebe, die nach der Schönheit und in jener, die nach Gott verlangt.
Das Bekenntniss einer platonisch-christlichen Weltanschauung,
welches Michelangelo in seinen Dichtungen abgelegt, ist, als un-
mittelbarer , gedanklich bestimmter Ausdruck seines Gefühles, von
unzweideutiger Klarheit. Es offenbart, in stärkster persönlicher
Fassung, Wesen und Ideengehalt der italienischen Renaissancekultur
überhaupt. Wie sollte ihm nicht der Hinweis auf den einzig
richtigen Zugang zum Verständniss auch der Kunst des Meisters
entnommen werden? Wer freilich in Kunst ein bloßes Spiel der
Geschicklichkeit sieht, wird sich dieser Erkenntniss verschließen.
Wer aber in ihr die durch Gefühlskräfte bedingte anschauliche Ge-
staltung geistigen Erlebens gewahrt, wem das Problem der Form
gesetzmäßige Einheitsbildung nicht bloß in äußerem Sinne, sondern
auch in innerem: als Verhältnissmäßigkeit zwischen dem Auszu-
drückenden und der formalen Ausdrucksart bedeutet, Der wird die
Erklärung großer künstlerischer Besonderheiten in jenen Tiefen
suchen, in denen die Ideen einer schöpferischen Persönlichkeit wurzeln.
Und es ist in eben diesen Tiefen, daß wir den Quell eines
Leidens entdecken, welches schmerzlicher, als alle durch Tempera-
ment und Schicksal veranlaßten anderen, Michelangelo traf, weil
es unmittelbar dem Nerv seines Lebens, seinem künstlerischen
Formen, anhaftete, weil er es, ohne sich der Gründe deutlich be-
wußt zu werden, als die innere Fessel seines Prometheischen Wollens
empfinden mußte. Nicht als natürlicher Ausfluß innerer Harmonie
von Gefühl und Anschauung, wie dasjenige Lionardos und Raphaels,
vollzog sich sein Schaffen, sondern als herrische Bändigung sich
widerstreitender Elemente. Seine Werke sind das Produkt eines
gewaltigen Ringens, das dem Beschauer, wie schon früher bemerkt
ward, nicht die Seligkeit beschwichtigender Kontemplation, an der
man die stilistische Vollkommenheit eines Kunstwerkes erkennt, ver-
gönnt, sondern ihn in den Zustand erhabener Erregung, ja leidens-
voller Erschütterung versetzt, ihm ein Sehnen erweckt, dessen
Stillung sonst die eigenthümliche Wirkung gerade der Kunst ist.
Sie erscheinen wie Höhepunkte einer nicht abgeschlossenen drama-
tischen Handlung, wie Wesen, deren Seele der Erlösung noch
wartet. Eine äußerste Anspannung der Kraft, die ihre Erfüllung
nicht in der Schöpfung selbst findet, sondern, über diese hinaus-
reichend, ein unbekanntes Ziel sucht, scheint, auf die Dauer
Einleitung.
Die irdische Liebe als Verlangen nach der Frau erstarb in der
Liebe, die nach der Schönheit und in jener, die nach Gott verlangt.
Das Bekenntniss einer platonisch-christlichen Weltanschauung,
welches Michelangelo in seinen Dichtungen abgelegt, ist, als un-
mittelbarer , gedanklich bestimmter Ausdruck seines Gefühles, von
unzweideutiger Klarheit. Es offenbart, in stärkster persönlicher
Fassung, Wesen und Ideengehalt der italienischen Renaissancekultur
überhaupt. Wie sollte ihm nicht der Hinweis auf den einzig
richtigen Zugang zum Verständniss auch der Kunst des Meisters
entnommen werden? Wer freilich in Kunst ein bloßes Spiel der
Geschicklichkeit sieht, wird sich dieser Erkenntniss verschließen.
Wer aber in ihr die durch Gefühlskräfte bedingte anschauliche Ge-
staltung geistigen Erlebens gewahrt, wem das Problem der Form
gesetzmäßige Einheitsbildung nicht bloß in äußerem Sinne, sondern
auch in innerem: als Verhältnissmäßigkeit zwischen dem Auszu-
drückenden und der formalen Ausdrucksart bedeutet, Der wird die
Erklärung großer künstlerischer Besonderheiten in jenen Tiefen
suchen, in denen die Ideen einer schöpferischen Persönlichkeit wurzeln.
Und es ist in eben diesen Tiefen, daß wir den Quell eines
Leidens entdecken, welches schmerzlicher, als alle durch Tempera-
ment und Schicksal veranlaßten anderen, Michelangelo traf, weil
es unmittelbar dem Nerv seines Lebens, seinem künstlerischen
Formen, anhaftete, weil er es, ohne sich der Gründe deutlich be-
wußt zu werden, als die innere Fessel seines Prometheischen Wollens
empfinden mußte. Nicht als natürlicher Ausfluß innerer Harmonie
von Gefühl und Anschauung, wie dasjenige Lionardos und Raphaels,
vollzog sich sein Schaffen, sondern als herrische Bändigung sich
widerstreitender Elemente. Seine Werke sind das Produkt eines
gewaltigen Ringens, das dem Beschauer, wie schon früher bemerkt
ward, nicht die Seligkeit beschwichtigender Kontemplation, an der
man die stilistische Vollkommenheit eines Kunstwerkes erkennt, ver-
gönnt, sondern ihn in den Zustand erhabener Erregung, ja leidens-
voller Erschütterung versetzt, ihm ein Sehnen erweckt, dessen
Stillung sonst die eigenthümliche Wirkung gerade der Kunst ist.
Sie erscheinen wie Höhepunkte einer nicht abgeschlossenen drama-
tischen Handlung, wie Wesen, deren Seele der Erlösung noch
wartet. Eine äußerste Anspannung der Kraft, die ihre Erfüllung
nicht in der Schöpfung selbst findet, sondern, über diese hinaus-
reichend, ein unbekanntes Ziel sucht, scheint, auf die Dauer