Das Problem der Michelangeloschen Kunst.
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unerträglich, das Gebilde selbst und uns mit ihm zu vernichten.
Und wir erinnern uns daran, wie oft der Künstler unmuthig die
Vollendung begonnener Statuen aufgab, ja, wie er verzweifelnd
sie zu zerstören trachtete. Ein Meister, wie er, der über ein
souveränes Können gebot 1
Läßt dies Alles keinen Zweifel über den Widerstreit, in den er
bei seinem Schaffen gerieth, so wirft auf die Art des Konfliktes die
Thatsache, daß dieser in höherem Grade, als bei den Gemälden, in
den Skulpturen hervortritt, Licht. Besagt sie doch nichts Anderes,
als daß durch die Malerei seine Ideen vollkommener, als durch die
Plastik, zu verwirklichen waren. Aber freilich doch nur in bedingter
Weise, da eben auch in seinen Bildern die gekennzeichneten 'Er-
scheinungen sich bemerkbar machen. Beachtet man, daß dies ganz
vornehmlich dort der Fall ist, wo die plastischen Prinzipien der
Gestaltung, die von ihm allgemein auf die Malerei angewandt wurden,
mit besonderem Nachdruck auftreten, so darf man den Schluß
ziehen: die Skulptur, eben die Kunst, welche von den Sternen diesem
Genius als die ihm eigenste bestimmt war, ist es, die ihrem Wesen
und ihren Stilbedingungen nach nicht den Anforderungen seiner
Ideen entsprach. Mit anderen Worten: was er aus innerer Noth-
wendigkeit künstlerisch auszudrücken hatte, ließ sich in reiner
Harmonie der Schönheit durch die Plastik nicht verdeutlichen. Der
Widerstand, welchen diese den an sie gestellten Zumuthungen
entgegensetzte, war nur gewaltsam zu überwinden.
So weist dieses größten Meisters Bilden auf ein bedeutungs-
volles Allgemeines, nämlich auf das Phänomen hin, daß der Plastik
in der christlichen Kultur die Freiheit der Entwicklung zu höch-
ster Schönheit versagt blieb. Seine Werke sind das Zeugniss eines
unbeugsamen und dennoch vergeblichen Willens, dies Ideal zu
verwirklichen. Das stürmische Schauspiel seines Schaffens, dem an
Macht nur Weniges in der Geschichte der Künste zu vergleichen
ist, zeigt als heroische, an Kraft und Bedeutung einander gewach-
sene Handelnde, wie sie Versöhnung suchen und doch in immer
neuer Entzweiung sich selbst zu behaupten trachten: den antiken
und den christlichen Geist.
Wollen wir dies verstehen, müssen wir uns über die Grund-
fragen der christlichen Kunstgeschichte klar zu werden versuchen.
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unerträglich, das Gebilde selbst und uns mit ihm zu vernichten.
Und wir erinnern uns daran, wie oft der Künstler unmuthig die
Vollendung begonnener Statuen aufgab, ja, wie er verzweifelnd
sie zu zerstören trachtete. Ein Meister, wie er, der über ein
souveränes Können gebot 1
Läßt dies Alles keinen Zweifel über den Widerstreit, in den er
bei seinem Schaffen gerieth, so wirft auf die Art des Konfliktes die
Thatsache, daß dieser in höherem Grade, als bei den Gemälden, in
den Skulpturen hervortritt, Licht. Besagt sie doch nichts Anderes,
als daß durch die Malerei seine Ideen vollkommener, als durch die
Plastik, zu verwirklichen waren. Aber freilich doch nur in bedingter
Weise, da eben auch in seinen Bildern die gekennzeichneten 'Er-
scheinungen sich bemerkbar machen. Beachtet man, daß dies ganz
vornehmlich dort der Fall ist, wo die plastischen Prinzipien der
Gestaltung, die von ihm allgemein auf die Malerei angewandt wurden,
mit besonderem Nachdruck auftreten, so darf man den Schluß
ziehen: die Skulptur, eben die Kunst, welche von den Sternen diesem
Genius als die ihm eigenste bestimmt war, ist es, die ihrem Wesen
und ihren Stilbedingungen nach nicht den Anforderungen seiner
Ideen entsprach. Mit anderen Worten: was er aus innerer Noth-
wendigkeit künstlerisch auszudrücken hatte, ließ sich in reiner
Harmonie der Schönheit durch die Plastik nicht verdeutlichen. Der
Widerstand, welchen diese den an sie gestellten Zumuthungen
entgegensetzte, war nur gewaltsam zu überwinden.
So weist dieses größten Meisters Bilden auf ein bedeutungs-
volles Allgemeines, nämlich auf das Phänomen hin, daß der Plastik
in der christlichen Kultur die Freiheit der Entwicklung zu höch-
ster Schönheit versagt blieb. Seine Werke sind das Zeugniss eines
unbeugsamen und dennoch vergeblichen Willens, dies Ideal zu
verwirklichen. Das stürmische Schauspiel seines Schaffens, dem an
Macht nur Weniges in der Geschichte der Künste zu vergleichen
ist, zeigt als heroische, an Kraft und Bedeutung einander gewach-
sene Handelnde, wie sie Versöhnung suchen und doch in immer
neuer Entzweiung sich selbst zu behaupten trachten: den antiken
und den christlichen Geist.
Wollen wir dies verstehen, müssen wir uns über die Grund-
fragen der christlichen Kunstgeschichte klar zu werden versuchen.
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