Lünette der Sixtina.
Mit dem antiken mythologischen Stoffe hatte Michelangelo ab-
geschlossen, aus innerer Nothwendigkeit und Wahrheit ward
er zur Verkündigung der lebendig wirkenden Anschauungen
der neueren Kultur, der er angehörte, getrieben. Aller Zauber
der Vergangenheit bleibt den geistigen Anforderungen seiner Zeit
gegenüber machtlos. Seine Aufgabe kann es fortan nur sein,
nach Analogie der Antike den christlichen Vorstellungen Hoheit
zu verleihen. Damit aber tritt nun an ihn, den Statuenbildner,
nicht in verstandesgemäßer Reflexion, sondern aus künstlerischem
Instinkte, die Frage heran, der seine Vorgänger in naiver Selbst-
täuschung oder mit dem Entschlüsse der Resignation aus dem
Wege gegangen waren, die Frage: welche Gestalten christlichen
Glaubens eignen sich für die Plastik, deren erstes Gesetz die Schön-
heit ist, und in welcher Weise sind sie zu formen? Bereits am
Schlüsse unserer Einleitung ward darauf hingewiesen, daß es für
einen Genius, wie Michelangelo, hier nur eine Wahl gab: die
Schöpfung einer Mythologie, und daß eine solche nicht nur die Art