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Thode, Henry; Thode, Henry [Editor]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,2): Der Künstler und seine Werke: Abth. 2 — Berlin: Grote, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.47069#0052
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Giuliano. Der Tag.

sich an der Brust die todtenkopfartig wirkende Maske vor. So
denkt man sich wohl einen Cäsar, der, in der Gewissheit seines die

Weltherrschaft erzwingenden Wollens, mit dem Blick
mustert, die ' zur Schlacht ausziehen. Ein Zeichen

die Truppen
mit seinem

Kommandostabe und der Sieg ist entschieden, als dessen Lohn dem
Tapferen die Münze mit dem Fürstenbildniss sicher ist. (Studie zu
Giuliano im Louvre, Verz. 483.)
Die Welt, von der sich jener Träumer befreit, indem er sie,
in sein Inneres einbeziehend, ihrer Wirklichkeit entkleidet, wird von

diesem Wachenden in aller ihrer Realität als Besitz erzwungen.
Nicht Lorenzo, Herzog von Urbino, und Giuliano, Herzog von
Nemours, heissen die Helden — ihre wahren Namen lauten: Er-

kenntniss und Wille!

Aber was auch Wissen und Thatkraft vermögen — „die Zeit
wird Herr!“ Herr sogar des Heldenthumes, erhebt sie selbst die
Klage über die Opfer ihrer eigenen Macht, mit denen sie Sinn und
Bedeutung ihres Waltens eingebüsst hat.
In Stein gemeisselt, in Raum verwandelt die Zeit, und dies in
schwer lastenden, lagernden Gestalten — welch’ ein künstlerisches
Unterfangen! Gab es, so fragen wir uns bedrückt, jemals eine Welt,
in welcher die Horen blumengeschmückt ihren Reigen tanzten, die
rosenfingrige Eos im frühen Windeshauche sich über die Erde er-
hob, Helios das Viergespann an dem Himmelsbogen lenkte, Selene
mit Lilienarmen und süssem Hauche den Hirten umfing?
Wohin, wohin ward dieses Reich entrückt?
Ein rastender Riese, abgewandt auf Felsen gelagert, dreht der
„Tag“, einem aufmerksam gewordenen Löwen vergleichbar, das
finster dräuende Haupt uns zu. (Studien zu ihm in Haarlem,
s. Verz. 258, 259, 260.) Was fesselt ihm die unwiderstehlichen, das
Verderben in sich tragenden Glieder? Was erlaubt uns, ungestraft uns
ihm zu nahen? Ach, was ein Dräuen schien in den vom Meissel
nur angedeuteten Zügen, ist fiebrisch den Leib durchwühlender
Schmerz — wohl vernehmen wir ein Grollen, unheimlich wie das
den Ausbruch verkündende des feuerspeienden Berges, aber es
verklingt in Ohnmacht. In sich selbst verzehrt sich die wie im
Krampf angeschwollene, ungeheuere Muskelkraft.
Seine Genossin, dem gleichen Geschlechte entsprossen wie
er, die „Nacht“, theilt seine wilde Einsamkeit. (Studien in
 
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