Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Thode, Henry; Thode, Henry [Editor]
Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 3,2): Der Künstler und seine Werke: Abth. 2 — Berlin: Grote, 1912

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47069#0056
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
456

Der Morgen. Der Flussgott.

Resignation, welche einen Schleier über die Augen breitet und
Bilder der Vergänglichkeit hinter der hohen Stirne emporsteigen lässt.
Ruhe finden
Einst werden todesmüde die Gedanken.
(G. S. 105. F. CIX, 90.)
Das Spiel des Lichtes und Schattens auf diesem Haupte gemahnt
uns wie ein vom scheidenden Sonnenlicht getroffener Bergesgipfel.
Die Klage des Alters zu vernehmen, ist wehmüthig — wie
aber, wenn es von den Lippen der Jugend erklingt: „unsel’ger
Zustand! zu welchem Elend ach! bin ich geboren!“, wenn dies der
Laut ist, den die Göttin des „Morgens“, die doch die Schwester
der Hoffnung ist, jammernd ausstösst! Unfähig, das Haupt zu er-
heben, nach dem Schleier fassend, als wolle sie ihr Leid verhüllen,
richtet sie sich mühsam in zögernder Wendung vom Lager auf.
Ihr wundervoller jugendlicher Leib, in dem der Schöpfer alle
weibliche Schönheit gesammelt hat, die sein das Erhabene suchender
Blick fand, ist nur „ein Schleier banger Sterblichkeit“, „der Kerker
einer in Schmerzen seufzenden Seele“. Was ist das für ein Tag,
den zu schauen es der Bringerin des Lichtes selbst graut?
O Sonne, welche rings die Erde du erwärmst,
O Phöbus, ew’ges Licht der Sterblichen, warum
Verdunkelst du dich mir allein und keinem Anderen?
(G. S. 309.)
Von den geplanten Flussgöttern uns eine Vorstellung zu
machen, ist Dank dem jüngst gemachten glücklichen Fund des einen
in der Florentiner Akademie erhaltenen grossen Mo dell es, das
aus Thon und Werg besteht, vergönnt. Er war mit dem Rücken
an das Sarkophagpostament gelehnt gedacht, in lagernder Stellung,
das eine Bein hoch aufgestemmt, das andere mehr ausgestreckt.
(Entwürfe, die auf die Flussgötter, zum Theil auch auf die Sarko-
phagdeckelfiguren bezogen werden dürfen in Casa Buon., Verz. 19,
44, 48, in Oxford, Verz. 390 und 391, in London, Verz. 282, 286
und 312.)
Wenn auch abseits von dem in Schmerz versunkenen Ur-
geschlecht, gehört doch auch die Madonna, die über dem Cassone
 
Annotationen