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I. Kapitel: Begriff und Wesen der Kunstgeschichte.
sie für manche Zeiträume längst in Übung; die Bezeichnung der Stilphasen
nach den gleichzeitigen Königen ist in Frankreich seit langem Gebrauch, und
auch in England und Deutschland hat man den Vorzug derartiger knapper
und unzweideutiger Charakterisierung eines Entwicklungsabschnitts vor den
nichtssagenden und unklaren Stilnamen vielfach einzusehen begonnen.
Friderizianisches Barock ist uns in Preußen ein von der Kunst Friedrich
Wilhelms durchaus verschiedener Begriff, und ebenso ist in Österreich ein Stil
Karls VI., ein mariatheresianischer1) und josefinischer Stil ohne weiters
verständlich. Dabei ist an einen inneren Zusammenhang der betreffenden
Kunstphase mit dem betreffenden Regenten in der Regel nicht gedacht2);
ob er auf die Kunstentwicklung fördernden Einfluß genommen hat oder
nicht, immer erscheint seine Regierung lediglich als chronologischer Begriff.
Dessen Genauigkeit ist nur eine sehr ungefähre; bei einer langen Regierung,
wie es etwa die Ludwigs XIV. war, lassen sich Anfang und Ende kaum unter
einen Stilbegriff bringen, und eine kurze, z. B. die Josefs II., wird einen Ab-
schnitt nicht genug prägnant bezeichnen.
Dieser Dehnbarkeit der Stilbezeichnung entgeht man, wenn man von
bestimmten historischen Ereignissen absieht und sich an die großen histo-
rischen Perioden hält. Bei den größten, den Zeitaltern, wird schon durch die
gewaltige Ausdehnung der Abschnitte eine starke Verschiedenheit auch für
die Kunstgeschichte gewährleistet; die Kunst des Altertums, des Mittel-
alters, der Neuzeit sind grundverschiedene Dinge, obschon wenigstens die
zweite Grenzscheide für die Kunstgeschichte etwas verschoben werden
müßte. Die Jahrhunderteinteilung hat für die italienische Kunst Bedeutung
gewonnen, weil die entscheidenden Ereignisse in der Entwicklung wieder-
holt an die Jahrhundertwende fallen; infolgedessen ist die Bezeichnung der
Stilphasen nach Jahrhunderten in Italien und für Italien bis heute durch-
aus üblich geblieben und hat auch hier und da Übertragung auf andere
Gebiete gefunden, ohne hier aber mehr zu sein, als eine ziemlich vage Zeit-
angabe. Auch der Versuch, die lange Jahrhundertperiode durch Zerlegung
in Dekaden zu gliedern und handlicher zu machen, ist gemacht worden;
Filippo Baldinucci hat sie seinen Notizie dei professori del disegno da
Cimabue in qua3) zugrunde gelegt. Man hat ihm — wie Köster Rich. M.
9 E. Leisching, Theresianischer und josefinischer Stil in Kunst und Kunsthandwerk
1912, S. 493.
2) Etwa wie man von einem Style Pompadour, Style Dubarry wegen des vermeint-
lichen Einflusses dieser Damen auf die Kunst gesprochen hat. — Etwas ähnliches scheint
übrigens Baglione in seinen Vite de' Pittori, Scultori, Architetti ed Intagliatori (Rom 1642)
vorgeschwebt zu sein, die nach Pontifikaten eingeteilt sind und wo jedem Pontifikat eine
Zusammenfassung der Kunsttätigkeit des betreffenden Papstes vorangestellt wird. Das
System wird besonders dadurch verwirrt, daß immer die Biographien derjenigen Künstler
aufgezählt werden, die in dem betreffenden Pontifikat gestorben sind.
3) Florenz 1681 f.
I. Kapitel: Begriff und Wesen der Kunstgeschichte.
sie für manche Zeiträume längst in Übung; die Bezeichnung der Stilphasen
nach den gleichzeitigen Königen ist in Frankreich seit langem Gebrauch, und
auch in England und Deutschland hat man den Vorzug derartiger knapper
und unzweideutiger Charakterisierung eines Entwicklungsabschnitts vor den
nichtssagenden und unklaren Stilnamen vielfach einzusehen begonnen.
Friderizianisches Barock ist uns in Preußen ein von der Kunst Friedrich
Wilhelms durchaus verschiedener Begriff, und ebenso ist in Österreich ein Stil
Karls VI., ein mariatheresianischer1) und josefinischer Stil ohne weiters
verständlich. Dabei ist an einen inneren Zusammenhang der betreffenden
Kunstphase mit dem betreffenden Regenten in der Regel nicht gedacht2);
ob er auf die Kunstentwicklung fördernden Einfluß genommen hat oder
nicht, immer erscheint seine Regierung lediglich als chronologischer Begriff.
Dessen Genauigkeit ist nur eine sehr ungefähre; bei einer langen Regierung,
wie es etwa die Ludwigs XIV. war, lassen sich Anfang und Ende kaum unter
einen Stilbegriff bringen, und eine kurze, z. B. die Josefs II., wird einen Ab-
schnitt nicht genug prägnant bezeichnen.
Dieser Dehnbarkeit der Stilbezeichnung entgeht man, wenn man von
bestimmten historischen Ereignissen absieht und sich an die großen histo-
rischen Perioden hält. Bei den größten, den Zeitaltern, wird schon durch die
gewaltige Ausdehnung der Abschnitte eine starke Verschiedenheit auch für
die Kunstgeschichte gewährleistet; die Kunst des Altertums, des Mittel-
alters, der Neuzeit sind grundverschiedene Dinge, obschon wenigstens die
zweite Grenzscheide für die Kunstgeschichte etwas verschoben werden
müßte. Die Jahrhunderteinteilung hat für die italienische Kunst Bedeutung
gewonnen, weil die entscheidenden Ereignisse in der Entwicklung wieder-
holt an die Jahrhundertwende fallen; infolgedessen ist die Bezeichnung der
Stilphasen nach Jahrhunderten in Italien und für Italien bis heute durch-
aus üblich geblieben und hat auch hier und da Übertragung auf andere
Gebiete gefunden, ohne hier aber mehr zu sein, als eine ziemlich vage Zeit-
angabe. Auch der Versuch, die lange Jahrhundertperiode durch Zerlegung
in Dekaden zu gliedern und handlicher zu machen, ist gemacht worden;
Filippo Baldinucci hat sie seinen Notizie dei professori del disegno da
Cimabue in qua3) zugrunde gelegt. Man hat ihm — wie Köster Rich. M.
9 E. Leisching, Theresianischer und josefinischer Stil in Kunst und Kunsthandwerk
1912, S. 493.
2) Etwa wie man von einem Style Pompadour, Style Dubarry wegen des vermeint-
lichen Einflusses dieser Damen auf die Kunst gesprochen hat. — Etwas ähnliches scheint
übrigens Baglione in seinen Vite de' Pittori, Scultori, Architetti ed Intagliatori (Rom 1642)
vorgeschwebt zu sein, die nach Pontifikaten eingeteilt sind und wo jedem Pontifikat eine
Zusammenfassung der Kunsttätigkeit des betreffenden Papstes vorangestellt wird. Das
System wird besonders dadurch verwirrt, daß immer die Biographien derjenigen Künstler
aufgezählt werden, die in dem betreffenden Pontifikat gestorben sind.
3) Florenz 1681 f.