A. Kritik der mittelbaren Quellen.
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wissenschaft, die innere Kritik, die das Verhältnis der Quellen zu den Tat-
sachen untersucht, also feststellt, wie weit die durch die äußere Kritik als
an und für sich einwandfreien Zeugnisse bestimmte und zuverlässige Schluß-
folgerungen über die Tatsachen selbst zulassen, wird direkt nur für die
mittelbaren Quellen der Kunstgeschichte anwendbar sein. Bei den unmittel-
baren Quellen, den Denkmälern, sind Quelle und Tatsache, wie hervorge-
hoben wurde1), so eng verknüpft, daß alle jene Denkoperationen, die das
innere Verhältnis von Zeugnis und Tatsache betreffen, nur durch Vergleichung
der Tatsachen erfolgen können, also bereits der Interpretation angehören.
Die Konstatierung der Tatsächlichkeit, die die Zentralaufgabe der historischen
Kritik genannt wurde2), ist beim Kunstdenkmal erfolgt, sobald die äußere
Kritik entschieden hat3).
Wert und Bedeutung der Kritik innerhalb einer historischen Disziplin
sollten kaum einer besonderen Betonung bedürfen, denn durch sie wird eine
wissenschaftliche Forschung überhaupt erst ermöglicht. Ohne daß die
Tatsachen durch kritische Behandlung der Quellen zu vollster Gewißheit
erhärtet würden, könnte sich auch die Kunstgeschichte nicht über den Rang
eines antiquarischen Dilettantismus erheben, nur im Festhalten ihrer kriti-
schen Verpflichtungen liegt die Möglichkeit ihrer wissenschaftlichen Weiter-
entwicklung. Aber diese Anerkennung der Kritik darf nicht in ihre Über-
schätzung ausarten, die Kritik erschöpft die wissenschaftliche Arbeit keines-
wegs; sie bereitet den Stoff für die Interpretation vor, die ihn erst bearbeitet
und gestaltet, Kritik als Selbstzweck tötet die Wissenschaft. Da aber auch
die Interpretation ohne Kritik nicht bestehen kann, so ist es wohl ein müßiger
Streit, den Vorrang beider im wissenschaftlichen Betrieb berechnen zu
wollen; es sind die beiden gleich unentbehrliche Pfeiler der Kunstgeschichte.
A. Kritik der mittelbaren Quellen.
Die Kritik der mittelbaren Quellen kann kurz behandelt werden, weil
ihre Grundsätze und Prinzipien im wesentlichen mit denen der Geschichts-
wissenschaft identisch sind4); eine Exemplifikation an den für die Kunst-
geschichte festgestellten Quellenkategorien wird diese Übereinstimmung leicht
ersichtlich machen. Dabei kann die für die Heuristik aufgestellte Einteilung
9 S. 184 ff.
2) A. Rhomberg, Die Erhebung der Geschichte zum Range einer Wissenschaft 1883,
S. 10.
3) Übrigens beurteilt auch Bernheim (a. a. 0. S. 430) die als Überreste bezeichneten
Quellen in ähnlicher Weise, auch sie bezeugen nach ihm die Tatsächlichkeit durch ihre Existenz
unmittelbar. — Noch sei an die Auffassung von O. Lorenz erinnert, der nur die Tatsächlich-
keit der Quellen, nicht die der Ereignisse für den Gegenstand der Kritik hält, also nur äußere
Kritik anerkennt. (Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben II, S. 291ff.)
4) Vgl. Bernheim a. a. 0. S. 300 ff.
Tietze, Methodik. 19
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wissenschaft, die innere Kritik, die das Verhältnis der Quellen zu den Tat-
sachen untersucht, also feststellt, wie weit die durch die äußere Kritik als
an und für sich einwandfreien Zeugnisse bestimmte und zuverlässige Schluß-
folgerungen über die Tatsachen selbst zulassen, wird direkt nur für die
mittelbaren Quellen der Kunstgeschichte anwendbar sein. Bei den unmittel-
baren Quellen, den Denkmälern, sind Quelle und Tatsache, wie hervorge-
hoben wurde1), so eng verknüpft, daß alle jene Denkoperationen, die das
innere Verhältnis von Zeugnis und Tatsache betreffen, nur durch Vergleichung
der Tatsachen erfolgen können, also bereits der Interpretation angehören.
Die Konstatierung der Tatsächlichkeit, die die Zentralaufgabe der historischen
Kritik genannt wurde2), ist beim Kunstdenkmal erfolgt, sobald die äußere
Kritik entschieden hat3).
Wert und Bedeutung der Kritik innerhalb einer historischen Disziplin
sollten kaum einer besonderen Betonung bedürfen, denn durch sie wird eine
wissenschaftliche Forschung überhaupt erst ermöglicht. Ohne daß die
Tatsachen durch kritische Behandlung der Quellen zu vollster Gewißheit
erhärtet würden, könnte sich auch die Kunstgeschichte nicht über den Rang
eines antiquarischen Dilettantismus erheben, nur im Festhalten ihrer kriti-
schen Verpflichtungen liegt die Möglichkeit ihrer wissenschaftlichen Weiter-
entwicklung. Aber diese Anerkennung der Kritik darf nicht in ihre Über-
schätzung ausarten, die Kritik erschöpft die wissenschaftliche Arbeit keines-
wegs; sie bereitet den Stoff für die Interpretation vor, die ihn erst bearbeitet
und gestaltet, Kritik als Selbstzweck tötet die Wissenschaft. Da aber auch
die Interpretation ohne Kritik nicht bestehen kann, so ist es wohl ein müßiger
Streit, den Vorrang beider im wissenschaftlichen Betrieb berechnen zu
wollen; es sind die beiden gleich unentbehrliche Pfeiler der Kunstgeschichte.
A. Kritik der mittelbaren Quellen.
Die Kritik der mittelbaren Quellen kann kurz behandelt werden, weil
ihre Grundsätze und Prinzipien im wesentlichen mit denen der Geschichts-
wissenschaft identisch sind4); eine Exemplifikation an den für die Kunst-
geschichte festgestellten Quellenkategorien wird diese Übereinstimmung leicht
ersichtlich machen. Dabei kann die für die Heuristik aufgestellte Einteilung
9 S. 184 ff.
2) A. Rhomberg, Die Erhebung der Geschichte zum Range einer Wissenschaft 1883,
S. 10.
3) Übrigens beurteilt auch Bernheim (a. a. 0. S. 430) die als Überreste bezeichneten
Quellen in ähnlicher Weise, auch sie bezeugen nach ihm die Tatsächlichkeit durch ihre Existenz
unmittelbar. — Noch sei an die Auffassung von O. Lorenz erinnert, der nur die Tatsächlich-
keit der Quellen, nicht die der Ereignisse für den Gegenstand der Kritik hält, also nur äußere
Kritik anerkennt. (Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben II, S. 291ff.)
4) Vgl. Bernheim a. a. 0. S. 300 ff.
Tietze, Methodik. 19