B. Kritik der Denkmäler.
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Datum nicht nachweisbar ist, so werden wir bei der Zeitbestimmung eines
Denkmals von der so ermittelten Zeitgrenze ausgehen. Wir werden also bei
einem Komplex älterer und jüngerer Stilelemente, den uns ein Kunstwerk
darbietet, nicht nach den älteren datieren und die jüngeren für Vorweg-
nahmen späterer Probleme halten, sondern es umgekehrt in die Zeit der
letzten Stilmerkmale setzen, mit denen sich ältere Stilüberbleibsel verbinden1).
Ein künstlerischer Anachronismus ist ein Ding der Unmöglichkeit und wo
ein solcher aufzutauchen scheint, wirft er ein grelles Licht auf die Unerforscht-
heit eines Gebietes.
Bei der bisherigen Erörterung der zeitlichen Bestimmung ist haupt-
sächlich die Rücksichtnahme auf die Formen der Denkmäler ins Auge gefaßt
worden, die allerdings in allen Fragen chronologischer Einordnung von aus-
schlaggebender Bedeutung sind. Aber daneben stehen auch noch Merkmale
als Hilfsmittel zur Verfügung, die auf andere Seiten des Kunstwerks Bezug
haben und die bei der Besprechung von Fälschung und Irrtum herangezogen
wurden. Material und Technik können für die zeitliche Bestimmung maß-
gebend sein, durch ihr Aufkommen und Verschwinden Grenzdaten beschaffen;
gewisse Modestoffe und Modetechniken sind kurzlebig genug, um diese Grenzen
ziemlich aneinander zu rücken. Bouletechnik oder Vernis Martin, die Ver-
wendung von buntem Stein als Malgrund oder eine goldige Lackierung
der Bronzen können gute Hilfsmittel für die Datierung sein. Hier und da
ist allerdings unser Einblick in die Geschichte der betreffenden technischen
Frage so ungenügend, daß sich keine sicheren Schlüsse für den Zeitansatz
eines Denkmals daraus ziehen lassen; das klassische Beispiel hierfür
ist eine der folgenreichsten Neuerungen, die Einführung der Ölmalerei.
Diese hat so viele Vorstadien, daß sich aus der Konstatierung eines ölhaltigen
Bindemittels in einem Bilde nicht die chronologischen Konsequenzen ziehen
lassen, zu denen man sich früher für berechtigt hielt.
Auch der Inhalt kann für die zeitliche Bestimmung wichtig sein; die
Darstellung von historisch fixierten Ereignissen oder Personen gibt einen
selbstverständlichen Terminus post quem; das Datum eines Porträts wird
sich aus dem Alter des Dargestellten ungefähr ergeben, wenn das Bild nicht
etwa nachträglich gemalt ist. Die sichtbare Benützung einer Antike, deren
Auffindungsjahr oder eines Kunstwerkes, dessen Entstehungszeit be-
kannt sind, gibt gleichfalls einen zeitlichen Ausgangspunkt und ein Ereignis
von ephemerer Bedeutung — ein Fest, ein Naturereignis — wird von seiner
Darstellung nicht durch allzulange Zeit getrennt sein usw. Endlich sind auch
hier die Umstände der Überlieferung verwertbar; ein Gebäude kann nicht
9 Auf diese Frage ist J. A. Brutails (L'archeologie du Moyen Age et ses methodes, Paris
1900, pag. 206 ff.) mit besonderem Nachdruck eingegangen und zur Formulierung des Ge-
setzes gelangt: l'ensemble d'un edifice est parfois en retard sur son temps, jamais en avance,
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Datum nicht nachweisbar ist, so werden wir bei der Zeitbestimmung eines
Denkmals von der so ermittelten Zeitgrenze ausgehen. Wir werden also bei
einem Komplex älterer und jüngerer Stilelemente, den uns ein Kunstwerk
darbietet, nicht nach den älteren datieren und die jüngeren für Vorweg-
nahmen späterer Probleme halten, sondern es umgekehrt in die Zeit der
letzten Stilmerkmale setzen, mit denen sich ältere Stilüberbleibsel verbinden1).
Ein künstlerischer Anachronismus ist ein Ding der Unmöglichkeit und wo
ein solcher aufzutauchen scheint, wirft er ein grelles Licht auf die Unerforscht-
heit eines Gebietes.
Bei der bisherigen Erörterung der zeitlichen Bestimmung ist haupt-
sächlich die Rücksichtnahme auf die Formen der Denkmäler ins Auge gefaßt
worden, die allerdings in allen Fragen chronologischer Einordnung von aus-
schlaggebender Bedeutung sind. Aber daneben stehen auch noch Merkmale
als Hilfsmittel zur Verfügung, die auf andere Seiten des Kunstwerks Bezug
haben und die bei der Besprechung von Fälschung und Irrtum herangezogen
wurden. Material und Technik können für die zeitliche Bestimmung maß-
gebend sein, durch ihr Aufkommen und Verschwinden Grenzdaten beschaffen;
gewisse Modestoffe und Modetechniken sind kurzlebig genug, um diese Grenzen
ziemlich aneinander zu rücken. Bouletechnik oder Vernis Martin, die Ver-
wendung von buntem Stein als Malgrund oder eine goldige Lackierung
der Bronzen können gute Hilfsmittel für die Datierung sein. Hier und da
ist allerdings unser Einblick in die Geschichte der betreffenden technischen
Frage so ungenügend, daß sich keine sicheren Schlüsse für den Zeitansatz
eines Denkmals daraus ziehen lassen; das klassische Beispiel hierfür
ist eine der folgenreichsten Neuerungen, die Einführung der Ölmalerei.
Diese hat so viele Vorstadien, daß sich aus der Konstatierung eines ölhaltigen
Bindemittels in einem Bilde nicht die chronologischen Konsequenzen ziehen
lassen, zu denen man sich früher für berechtigt hielt.
Auch der Inhalt kann für die zeitliche Bestimmung wichtig sein; die
Darstellung von historisch fixierten Ereignissen oder Personen gibt einen
selbstverständlichen Terminus post quem; das Datum eines Porträts wird
sich aus dem Alter des Dargestellten ungefähr ergeben, wenn das Bild nicht
etwa nachträglich gemalt ist. Die sichtbare Benützung einer Antike, deren
Auffindungsjahr oder eines Kunstwerkes, dessen Entstehungszeit be-
kannt sind, gibt gleichfalls einen zeitlichen Ausgangspunkt und ein Ereignis
von ephemerer Bedeutung — ein Fest, ein Naturereignis — wird von seiner
Darstellung nicht durch allzulange Zeit getrennt sein usw. Endlich sind auch
hier die Umstände der Überlieferung verwertbar; ein Gebäude kann nicht
9 Auf diese Frage ist J. A. Brutails (L'archeologie du Moyen Age et ses methodes, Paris
1900, pag. 206 ff.) mit besonderem Nachdruck eingegangen und zur Formulierung des Ge-
setzes gelangt: l'ensemble d'un edifice est parfois en retard sur son temps, jamais en avance,
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