Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Tietze, Hans
Die Methode der Kunstgeschichte: ein Versuch — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1913

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.70845#0089

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
§ 4. Einteilung der Kunstgeschichte.

71

sammenhang der Erscheinungen1), gelangen aber unter der Herrschaft
deduktiver Spekulation leicht zu Konstruktionen, deren historische Grund-
legung zu wünschen übrig läßt. Die Großzügigkeit, mit der Hegel auch
die Entwicklung der Kunst seinem System einverleibte oder die unge-
nügende Art, mit der Friedrich Schlegel seine Versuche einer zusammen-
hängenden Schilderung der christlichen Kunst fundierte2), stehen im schärf-
sten Gegensatz zur kompilatorischen Genügsamkeit der vorangegangenen
Generation; der ungleich vertieften Synthese bietet keine Detailkenntnis
das unentbehrliche Gegengewicht. Zu einer außerordentlichen Leistung
verbinden sich spekulative Kunstbetrachtung und Denkmalerforschung in
Rumohrs Arbeiten3); war es ihnen dort, wo sie auf genauer und breiter
Kenntnis der Denkmäler aufgebaut waren, vergönnt, allen späteren Unter-
suchungen als Gerüste zu dienen, so leiden sie in den eigentlich universal-
geschichtlichen Teilen, in den Fragmenten einer Geschichte der Baukunst
im Mittelalter oder der Abhandlung „Über den Ursprung der gotischen
Baukunst", bei aller Genialität der Synthese und trotz des tiefen Einblicks
in die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Entwicklung unter der Dürftig-
keit der Vorarbeiten. Für diese wurde der Rahmen dadurch geschaffen,
daß die Kunstentwicklung aus der bisherigen Isolierung gelöst und in den
Verband des allgemeinen geschichtlichen Verlaufs gestellt wird; war bisher
das Ästhetisch-Dogmatische vorangestellt worden, mußte nunmehr die rein
historische Erforschung des künstlerischen Tatbestandes in ihre Rechte
treten. Diese Neufundierung der allgemeinen Kunstgeschichte mit Ein-
beziehung der antiken Kunst und auf Grund historischer Arbeitsweise er-
folgte erst 1842 durch Kuglers Kunstgeschichte4); ein Mann von außer-
ordentlichem Wissen und erstaunlicher Denkmälerkenntnis hat hier das
ganze Material wirklich geschichtlich aufzubauen verstanden und nur durch
eine abstrakte, der Terminologie der spekulativen Philosophie nahestehende
Ausdrucksweise für uns Spätere die höchst intensive künstlerische Durch-
d ringung einigermaßen verschleiert. Noch breiter wird die geschichtliche Basis
in Schnaases Geschichte der bildenden Künste5), die die Kunst in und aus enger
Verkettung mit der gesamten Kulturentwicklung zu interpretieren versucht.

9 Helene Stöcker, Zur Kunstanschauung des 18. Jahrhunderts, in Palästra, XXVI,
Berlin 1904, S. 47 ff.

2) E. Sulger-Gebing, Die Brüder Schlegel und ihr Verhältnis zur Kunst, München 1897.

3) Der größte Teil der Untersuchungen Rumohrs ist wenigstens substantiell in seine
„Italienische Forschungen" (Berlin und Stettin 1827) einverleibt. Eine monographische
Würdigung Rumohrs, dessen Bedeutung F. X. Kraus (Geschichte der christlichen Kunst,
Freiburg 1895, I, 8) gut und eindringlich charakterisiert hat, wäre eine dringende Aufgabe
der Kunstgeschichte. Vgl. indessen Heinrich Wilhelm Schulz, K. F. von Rumohr, sein
Leben und seine Schriften, Leipzig 1844.

4) Erste Auflage 1842, zweite 1848, dritte 1856, vierte 1861.

5) Erste Auflage Düsseldorf 1843—1864, zweite 1866—1879.
 
Annotationen