§ 4. Einteilung der Kunstgeschichte.
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nischer Stil" opfert1). So greift er auf das für die letzte Hauptstufe der mittel-
alterlichen Kunstentwicklung altübliche „gotisch" zurück und verzeiht
ihm diesem alten Bürgerrecht zuliebe, daß es doch gänzlich nichtssagend sei.
Mit dieser seit Kugler in der deutschen Wissenschaft gänzlich rezi-
pierten und auch in Frankreich eingedrungenen Terminologie ist aber die
Periodisierung der ganzen mittelalterlichen Kunst noch nicht vollständig;
noch fehlt eine Präzisierung jener Periode, in der die Zersetzung der alten
und die Bildung einer neuen Kunst sich vollzieht. Die Schwierigkeit war
hier in jener Seite der romantischen Gesinnung gelegen, die das christliche
Moment ausschließlich betonte; ihr erschien gegenüber dem gemeinsamen
Gegensatz gegen die Antike das Sondernde als minder wichtig und so dehnte
sich die christliche Archäologie bei Augusti bis ins 12., bei Baumgarten bis
ins 15. Jahrhundert, während F. Piper sogar die Fortführung des Stoffes
bis zur Gegenwart verlangte2). Erst in den klassischen Werken der großen
Archäologen in der Mitte des 19. Jahrhunderts erhält der Begriff des Alt-
christlichen allmählich eine festere Gestalt; nun erscheint „das christliche
Leben im Umfange der antiken Bildungsform" als sein Umkreis, wodurch
für die kunstgeschichtliche Forschung der natürliche Anschluß an jene
als romanisch bezeichneten Neubildungen von selbst erfolgt.
Auf diese Art ist eine ziemlich grobe, aber immerhin ausreichende Ein-
teilung der Vorrenaissance zustande gekommen; ihr stand die Renaissance
so lange als eine prinzipiell verschiedene Kunst gegenüber, als der Haupt-
akzent auf der Wiedergeburt der klassischen Antike lag. Dann erschien
alles, was als Wirkung und Nachwirkung dieser einschneidenden Umwälzung
erfolgt war, als einheitlich; es war für die Begründer der Lehre im Gegensatz
zu jenen verhaßten mittleren Zeiten das schlechtweg Moderne, die köstliche
Errungenschaft, die man der Wiedergeburt der Antike verdankte. Diese
Vorstellung wurde von der Folgezeit übernommen; die Moderne wuchs
immer weiter, je nach dem Selbstbewußtsein der einzelnen Perioden ge-
priesen oder gescholten, eine kurvenreiche, aber niemals abgerissene Ent-
wicklungslinie3). Erst die Umwandlung der geistigen und künstlerischen
Kultur, deren Wirkung wir bei der Umwertung des Begriffs des Gotischen
bereits einmal beobachten konnten, spitzte sich in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts zu solcher Schärfe zu, daß das Ende jenes einheitlichen
9 Philippi, a. a. 0. S. 136 f.
2) F. X. Kraus, Über Begriff, Umfang, Geschichte der christlichen Archäologie, Frei-
burg i. B. 1879, S. 81.
3) Walter Goetz (Mittelalter und Renaissance in Historische Zeitschrift 98, S. 32)
macht darauf aufmerksam, daß noch Volkmann in seinen Historisch-kritischen Nachrichten
von 1770 ff. — allerdings ein Nachläufer des absterbenden Rationalismus (siehe C. v. Clenze,
The interpretation of Italy during the last two centuries, Chicago 1907, Chapt. II) — von
Raffael bis ins 18. Jahrhundert eine einheitliche Periode rechnet. Vgl. dazu noch Parallel-
stellen bei Brandi, Das Werden der Renaissance, Göttingen 1910, S. 25, Anm. 9.
Tietze, Methodik. 6
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nischer Stil" opfert1). So greift er auf das für die letzte Hauptstufe der mittel-
alterlichen Kunstentwicklung altübliche „gotisch" zurück und verzeiht
ihm diesem alten Bürgerrecht zuliebe, daß es doch gänzlich nichtssagend sei.
Mit dieser seit Kugler in der deutschen Wissenschaft gänzlich rezi-
pierten und auch in Frankreich eingedrungenen Terminologie ist aber die
Periodisierung der ganzen mittelalterlichen Kunst noch nicht vollständig;
noch fehlt eine Präzisierung jener Periode, in der die Zersetzung der alten
und die Bildung einer neuen Kunst sich vollzieht. Die Schwierigkeit war
hier in jener Seite der romantischen Gesinnung gelegen, die das christliche
Moment ausschließlich betonte; ihr erschien gegenüber dem gemeinsamen
Gegensatz gegen die Antike das Sondernde als minder wichtig und so dehnte
sich die christliche Archäologie bei Augusti bis ins 12., bei Baumgarten bis
ins 15. Jahrhundert, während F. Piper sogar die Fortführung des Stoffes
bis zur Gegenwart verlangte2). Erst in den klassischen Werken der großen
Archäologen in der Mitte des 19. Jahrhunderts erhält der Begriff des Alt-
christlichen allmählich eine festere Gestalt; nun erscheint „das christliche
Leben im Umfange der antiken Bildungsform" als sein Umkreis, wodurch
für die kunstgeschichtliche Forschung der natürliche Anschluß an jene
als romanisch bezeichneten Neubildungen von selbst erfolgt.
Auf diese Art ist eine ziemlich grobe, aber immerhin ausreichende Ein-
teilung der Vorrenaissance zustande gekommen; ihr stand die Renaissance
so lange als eine prinzipiell verschiedene Kunst gegenüber, als der Haupt-
akzent auf der Wiedergeburt der klassischen Antike lag. Dann erschien
alles, was als Wirkung und Nachwirkung dieser einschneidenden Umwälzung
erfolgt war, als einheitlich; es war für die Begründer der Lehre im Gegensatz
zu jenen verhaßten mittleren Zeiten das schlechtweg Moderne, die köstliche
Errungenschaft, die man der Wiedergeburt der Antike verdankte. Diese
Vorstellung wurde von der Folgezeit übernommen; die Moderne wuchs
immer weiter, je nach dem Selbstbewußtsein der einzelnen Perioden ge-
priesen oder gescholten, eine kurvenreiche, aber niemals abgerissene Ent-
wicklungslinie3). Erst die Umwandlung der geistigen und künstlerischen
Kultur, deren Wirkung wir bei der Umwertung des Begriffs des Gotischen
bereits einmal beobachten konnten, spitzte sich in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts zu solcher Schärfe zu, daß das Ende jenes einheitlichen
9 Philippi, a. a. 0. S. 136 f.
2) F. X. Kraus, Über Begriff, Umfang, Geschichte der christlichen Archäologie, Frei-
burg i. B. 1879, S. 81.
3) Walter Goetz (Mittelalter und Renaissance in Historische Zeitschrift 98, S. 32)
macht darauf aufmerksam, daß noch Volkmann in seinen Historisch-kritischen Nachrichten
von 1770 ff. — allerdings ein Nachläufer des absterbenden Rationalismus (siehe C. v. Clenze,
The interpretation of Italy during the last two centuries, Chicago 1907, Chapt. II) — von
Raffael bis ins 18. Jahrhundert eine einheitliche Periode rechnet. Vgl. dazu noch Parallel-
stellen bei Brandi, Das Werden der Renaissance, Göttingen 1910, S. 25, Anm. 9.
Tietze, Methodik. 6