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Tietze, Hans
Italienische Barockporträts — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 62: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.68755#0007
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Die Geringwertung des italienischen Barock, die das
einseitige Interesse für die Renaissance zur Folge
gehabt hatte, beginnt einer höheren Einschätzung zu
weichen. Diese veränderte wissenschaftliche Auffassung,
die für die vermeintliche Verfallszeit entwicklungsge-
schichtliche Objektivität fordert, wurzelt in einer all-
gemeineren geistigen Wandlung; einerseits ist das un-
mittelbare Gefallen an den künstlerischen Schöpfungen
dieser Zeit größer geworden, anderseits ein neues Interesse
an der ganzen Physiognomie dieser erwacht; man wird
dem Barock gerechter, weil man in seiner Kunst und
in seinem ganzen Dasein eine Lebendigkeit spürt, die
lange verstummt gewesen war.
Die Abneigung gegen die Barockkunst war ein Aus-
druck einer Antipathie gewesen, die sich nicht minder
auf andere Gebiete des geistigen Lebens erstreckte, ja
die ganze Periode als solche verurteilte; zwischen der
Selbstdarstellung des italienischen Volksgeistes in der
Renaissance und dem nationalen Wiederaufschwung im
neunzehnten Jahrhundert erschien sie als ein Zwischen-
spiel der politischen und kulturellen Fremdherrschaft;
spanischer Druck und jesuitische Erziehung brachten
die eigenen Kräfte Italiens zum Verkümmern. Eine
derartige Einseitigkeit ist leicht als Ausdruck eines
kämpfenden Nationalgefühls zu erkennen, ein sieg-
reiches Nationalbewußtsein wird bemüht sein, den ganzen
Reichtum der historischen Vergangenheit zu umfassen.
Ähnlich haben wir im deutschen Barock lange genug
nur den äußeren und inneren Verfall gesehen, der im Ge-
folge des Dreißigjährigen Krieges Deutschlands Existenz

B. D. K. 62

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