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Tietze, Hans
Die französische Malerei der Gegenwart — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 88: Leipzig: Seemann, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.67610#0009
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meintliche Einheit der Zeitgebundenheit umschließt,
es macht sich so auch die Gesetzmäßigkeit deut-
licher geltend, die ohne Ende individuelles Erlebnis
— des Einzelkünstlers allerpersönlichstes Schicksal
— in Gemeingut umwandelt. Der Gewinn solcher
Erkenntnis ist, die Gedanklichkeit geschichtlich
entrückter Vorgänge wärmer zu durchbluten und
die verwirrende Überfülle des Gegenwartsgesche-
hens vom Fluche des Chaotischen zu erlösen. Jeden
Augenblick wandelt sich Leben in Geschichte; jeder
Augenblick Geschichte ist einmal Leben gewesen.
Das Nacheinander und das Nebeneinander sind ver-
schiedene Anschauungsformen des gleichen Stoffes.
Im französischen Impressionismus hat der liberale
und materialistische Geist des neunzehnten Jahr-
hunderts seinen gültigsten Ausdruck gefunden:
Kunst als rein optische Angelegenheit, die ihre Be-
sonderheit aus der individuellen Einstellung des
Schaffenden gewinnt, also die subjektive Aus-
deutung des in der Natur gegebenen objektiven
Tatbestandes, wissenschaftlich nachprüfbar und
zugleich vom Zufall bestimmt, in der äußersten
Verfeinerung ihrer Ausdrucksmittel eigentlich nur
dem Kenner völlig zugänglich. Denn wenn der ent-
scheidende Wert in die Nuance verlegt wird, wenn
die weitest getriebene Schärfe der Erfassung und
das äußerste Raffinement der Wiedergabe die Quali-
tät des Kunstwerks bestimmen, dann bedarf auch,
wer es würdigen soll, einer subtilen Schulung des
Auges und des Geschmacks. So bedeutet der Im-

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