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Viertes Kapitel.
Veränderung ihren Platz und viele neue Praktiken haben sich im
Laufe der Zeit entwickelt, während sowohl die ältern wie die neuern
Entwicklungen sich mehr oder minder bis auf die modernen civili-
sirten Nationen fortgepflanzt haben. Aber seit der Zeit, wo fort-
schreitende Rassen gelernt haben, ihre Anschauungen immer
Strengern experimentellen Prüfungen zu unterwerfen, ist die Geheim-
kunst in die Lage eines Ueberlebsels gerathen, und in diesem
Zustande finden wir sie meistens bei uns.
Wenn die heutige gebildete Welt die Geheimkünste als einen
verächtlichen Aberglauben zurückweist, so hat sie sich praktisch
zu der Ueberzeugung bekannt, dass die Magie einer niedrigem
Culturstufe angehört. Es ist höchst lehrreich, die Gesundheit dieses
Urtheils 'unabsichtlich von Nationen bestätigt zu sehen, deren Bil-
dung noch nicht genügend vorgeschritten ist, um ihren Glauben
an die Zauberei selbst zu zerstören. In manchen Fällen mag der Ruf
einer Klasse als Zauberer darauf beruhen, dass sie sich thatsächlich
übernatürliche Kräfte anmassen oder auch bloss darauf, dass sie
alleinstehende und geheimnissvolle Leute sind. So ist es mit den
Lavas in Birma, welche als die heruntergekommenen Ueberreste einer
alten Culturrasse gelten und als Menschentiger gefürchtet sind1);
und mit den Budas in Abyssinien, welche gleichzeitig die Schmiede
und Töpfer, Zauberer und Währwölfe ihres Distriktes sind2). Aber
der gewöhnlichere und bedeutungsvollere Stand der Dinge ist der,
dass Völker, welche mit der aufrichtigsten Furcht an die Wirklichkeit
der magischen Kunst glauben, sich gleichzeitig der Thatsache nicht
verschliessen können, dass sie wesentlich mehr den weniger civili-
sirten Rassen, als sie selbst sind, angehört und dort mehr zu Hause
ist. Die Malayen der Halbinsel, welche die mohamedanische Reli-
gion und Civilisation angenommen haben, besitzen diese Vorstellung
von den niederem Stämmen des Landes, Stämmen, welche mehr
oder minder ihrer eigenen Rasse angehören, aber in ihrem frühesten
Zustande verblieben sind. Die Malayen haben ihre eigenen Zauberer,
aber sie halten sie für schwächer als die Zauberer oder poyangs
der rohen Mintiras; zu diesen nehmen sie ihre Zuflucht, wenn es
sich um Heilung von Krankheiten, um Erzeugung von Missgeschick,
und um Tod ihrer Feinde handelt. Es ist in der That der beste
Schutz, den die Mintiras gegen ihre stärkere malayischen Nachbarn
x) Bastian, „Oestl. -Asien“, Bd. I, S. 119.
2) „Life of Nath. Bearce", ed. by J. J. Sails, vol. I, p. 286.
Viertes Kapitel.
Veränderung ihren Platz und viele neue Praktiken haben sich im
Laufe der Zeit entwickelt, während sowohl die ältern wie die neuern
Entwicklungen sich mehr oder minder bis auf die modernen civili-
sirten Nationen fortgepflanzt haben. Aber seit der Zeit, wo fort-
schreitende Rassen gelernt haben, ihre Anschauungen immer
Strengern experimentellen Prüfungen zu unterwerfen, ist die Geheim-
kunst in die Lage eines Ueberlebsels gerathen, und in diesem
Zustande finden wir sie meistens bei uns.
Wenn die heutige gebildete Welt die Geheimkünste als einen
verächtlichen Aberglauben zurückweist, so hat sie sich praktisch
zu der Ueberzeugung bekannt, dass die Magie einer niedrigem
Culturstufe angehört. Es ist höchst lehrreich, die Gesundheit dieses
Urtheils 'unabsichtlich von Nationen bestätigt zu sehen, deren Bil-
dung noch nicht genügend vorgeschritten ist, um ihren Glauben
an die Zauberei selbst zu zerstören. In manchen Fällen mag der Ruf
einer Klasse als Zauberer darauf beruhen, dass sie sich thatsächlich
übernatürliche Kräfte anmassen oder auch bloss darauf, dass sie
alleinstehende und geheimnissvolle Leute sind. So ist es mit den
Lavas in Birma, welche als die heruntergekommenen Ueberreste einer
alten Culturrasse gelten und als Menschentiger gefürchtet sind1);
und mit den Budas in Abyssinien, welche gleichzeitig die Schmiede
und Töpfer, Zauberer und Währwölfe ihres Distriktes sind2). Aber
der gewöhnlichere und bedeutungsvollere Stand der Dinge ist der,
dass Völker, welche mit der aufrichtigsten Furcht an die Wirklichkeit
der magischen Kunst glauben, sich gleichzeitig der Thatsache nicht
verschliessen können, dass sie wesentlich mehr den weniger civili-
sirten Rassen, als sie selbst sind, angehört und dort mehr zu Hause
ist. Die Malayen der Halbinsel, welche die mohamedanische Reli-
gion und Civilisation angenommen haben, besitzen diese Vorstellung
von den niederem Stämmen des Landes, Stämmen, welche mehr
oder minder ihrer eigenen Rasse angehören, aber in ihrem frühesten
Zustande verblieben sind. Die Malayen haben ihre eigenen Zauberer,
aber sie halten sie für schwächer als die Zauberer oder poyangs
der rohen Mintiras; zu diesen nehmen sie ihre Zuflucht, wenn es
sich um Heilung von Krankheiten, um Erzeugung von Missgeschick,
und um Tod ihrer Feinde handelt. Es ist in der That der beste
Schutz, den die Mintiras gegen ihre stärkere malayischen Nachbarn
x) Bastian, „Oestl. -Asien“, Bd. I, S. 119.
2) „Life of Nath. Bearce", ed. by J. J. Sails, vol. I, p. 286.