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Tylor, Edward Burnett; Sprengel, J.W. [Übers.]; Poske, Fr. [Übers.]
Die Anfänge der Cultur: Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte (1. Band) — Leipzig: C. F. Winter'sche Verlagshandlung, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.61304#0284
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270

Achtes Kapitel.

der Geschichte des menschlichen Geistes durch die Veränderungen
hindurch verfolgen, welche der Einfluss neuerer Gedanken und Phan-
tasien an dem geistigen Erbtheile, das ihnen von früheren Genera-
tionen überliefert ist, hervorgebracht haben. Und wenn wir uns durch
immer entlegenere Perioden dem Urzustände unserer Rasse nähern,
so entschwinden nicht immer alle Fäden, welche die neue Gedanken-
welt mit der alten verknüpfen, unsern Blicken. Zum grossen Theil
ist es möglich, ihnen als Leitfäden zu folgen, die zu jener thätigen
Erfahrung der Natur und des Lebens führen, welche die letzte
Quelle der menschlichen Phantasie sind. Was Matthew Arnold
über die Gedanken des Menschen geschrieben hat, wie er auf dem
Strome der Zeit dahinschwebt, gilt aufs Vollkommenste von seiner
mythischen Einbildungskraft:
„As is the world on the banks
So is the mind of the man.
Only the tract where he sails
He wots of: only the thoughts,
Raised by the objects he passes, are bis“ ’)•
So empfangene Eindrücke wird der Geist modificiren und aus-
bilden, indem er die Erzeugnisse andern Geistern in einer Form
übergiebt, welche oft neu, fremdartig und willkürlich erscheint,
aber doch Vorgängen entspringt, die unserer Erfahrung vertraut
und in unserm eigenen individuellen Bewusstsein thätig sind. Die
Aufgabe unseres Denkens ist nicht, zu schaffen, sondern zu ent-
wickeln, zu combiniren und abzuleiten; und die constanten Gesetze
nach denen es thätig ist, sind selbst in den substanzlosen Gebilden
der Phantasie erkennbar. Hier wie überall im Universum können
wir eine nothwendige Folge von Ursache und Wirkung wahrnehmen,
eine verständliche, bestimmte, und wo unsere Kenntnisse die nöthige
Genauigkeit erreichen, selbst berechenbare Folge.
Es giebt vielleicht keinen Gegenstand, an dem man die Vor-
gänge der Einbildung besser studiren könnte, als an den wohl-
markirten Vorfällen der mythischen Erzählungen, welche sich ja

’j „Wie die Welt an den Ufern ist,
So ist der Sinn des Menschen.
Nur von der Bahn, wo er segelt,
Weiss er: nur die Gedanken,
Welche die Gegenstände, an denen er vorbeifährt, erwecken, sind sein“.
 
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