München, Moderne Galerie
Feuerbach: Streit des Apollo mit Marsyas (Zeichnung)
1848
FEUERBACH
SEIN LEBEN UND SEINE KUNST
„Wie kommt es, daß meine Bilder in wahrhaft majestätischer,
abweisender Ruhe dastehen, und der, der sie geschaffen, ist
ein schwankendes Rohr! Mir ist mein Leben wie ein Traum
manchmal, oft sehe ich hundert Jahre voraus und wandle
durch alte Galerien und sehe meine eignen Werke in stillem
Ernst an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem berufen,
das weiß ich jetzt, mein Leben wird erst zur Ruhe kommen,
wenn ich tot bin, Leiden werde ich immer haben, aber meine
Werke werden ewig leben.“
Anselm Feuerbach, Brief an die Mutter
2. November 1855.
Bei allem Pathos muß der Sinn durch Leiden, der Geist durch Freiheit interessiert
I sein. Fehlt es einer pathetischen Darstellung an einem Ausdruck der leidenden
Natur, so ist sie ohne ästhetische Kraft, und unser Herz bleibt kalt. Fehlt es
ihr an einem Ausdruck der ethischen Anlage, so kann sie bei aller sinnlichen Kraft
nie pathetisch sein und wird unausbleiblich unsere Empfindung empören. Aus aller
Freiheit des Gemüts muß immer der leidende Mensch durchscheinen . . .“ Diese
Worte Schillers, mit welchen er die zweite Hälfte der Abhandlung „Über das Pathetische“
begann, sind für das Werk Anselm Feuerbachs eine nachdenkliche Überschrift, und es
mag seltsam scheinen, eine Darstellung mit ihnen zu beginnen, die dem Ruhme des
Künstlers gewidmet ist. Aber indem wir hier sogleich die Grenze festlegen, die für
alle Zeit das Interesse eines mit künstlerischer Erziehung nur äußerlich prahlenden
Verehrerkreises der Feuerbachschen Kunst und der aus tiefer, innerlich mitempfinden-
der Zustimmung dem Meister zugetanen kleinen Schar seiner Jünger scheidet, treffen
wir auch ganz unmittelbar das Wesen dessen, was wir mit dem eben historisch
sich festlegenden Begriff „Feuerbach“ umfassen, und infolge der Einheitlichkeit von
Werk und Schöpfer vermögen wir endlich das Schicksal des Menschen aus seinem
Streben zu erklären. Es gibt wenige Künstler, deren Eigenart so schwierig darzu-
stellen ist wie Feuerbach. Denn eine sorgfältige Unterscheidung tut not zwischen dem
Ursprünglichen, dem die Vollendung allein zu danken ist, und dem Fremden, jenen
XI
Feuerbach: Streit des Apollo mit Marsyas (Zeichnung)
1848
FEUERBACH
SEIN LEBEN UND SEINE KUNST
„Wie kommt es, daß meine Bilder in wahrhaft majestätischer,
abweisender Ruhe dastehen, und der, der sie geschaffen, ist
ein schwankendes Rohr! Mir ist mein Leben wie ein Traum
manchmal, oft sehe ich hundert Jahre voraus und wandle
durch alte Galerien und sehe meine eignen Werke in stillem
Ernst an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem berufen,
das weiß ich jetzt, mein Leben wird erst zur Ruhe kommen,
wenn ich tot bin, Leiden werde ich immer haben, aber meine
Werke werden ewig leben.“
Anselm Feuerbach, Brief an die Mutter
2. November 1855.
Bei allem Pathos muß der Sinn durch Leiden, der Geist durch Freiheit interessiert
I sein. Fehlt es einer pathetischen Darstellung an einem Ausdruck der leidenden
Natur, so ist sie ohne ästhetische Kraft, und unser Herz bleibt kalt. Fehlt es
ihr an einem Ausdruck der ethischen Anlage, so kann sie bei aller sinnlichen Kraft
nie pathetisch sein und wird unausbleiblich unsere Empfindung empören. Aus aller
Freiheit des Gemüts muß immer der leidende Mensch durchscheinen . . .“ Diese
Worte Schillers, mit welchen er die zweite Hälfte der Abhandlung „Über das Pathetische“
begann, sind für das Werk Anselm Feuerbachs eine nachdenkliche Überschrift, und es
mag seltsam scheinen, eine Darstellung mit ihnen zu beginnen, die dem Ruhme des
Künstlers gewidmet ist. Aber indem wir hier sogleich die Grenze festlegen, die für
alle Zeit das Interesse eines mit künstlerischer Erziehung nur äußerlich prahlenden
Verehrerkreises der Feuerbachschen Kunst und der aus tiefer, innerlich mitempfinden-
der Zustimmung dem Meister zugetanen kleinen Schar seiner Jünger scheidet, treffen
wir auch ganz unmittelbar das Wesen dessen, was wir mit dem eben historisch
sich festlegenden Begriff „Feuerbach“ umfassen, und infolge der Einheitlichkeit von
Werk und Schöpfer vermögen wir endlich das Schicksal des Menschen aus seinem
Streben zu erklären. Es gibt wenige Künstler, deren Eigenart so schwierig darzu-
stellen ist wie Feuerbach. Denn eine sorgfältige Unterscheidung tut not zwischen dem
Ursprünglichen, dem die Vollendung allein zu danken ist, und dem Fremden, jenen
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