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77 —

Fortschritt in der Handlung bedeuten würden, hätten keinen Reiz. In
dieser Fabel hat schon Lafontaine der Vorschrift Lessing's von der
Handlung durchaus entsprochen. So wird der Hauptunterschied zwischen
der Lafontaine'sehen und englischen Fabel klar. Die erste ist das Re-
sultat der Anschauung und Erfahrung 9, also im Grunde episch, die letz-
tere dagegen ist die Frucht der Reflexion, im Grunde didaktisch. Diese
Steigung zu reflektierenden Dialogen geht auch in die wenigen Fabeln
über, die einen episch-dramatischen Aufbau haben. Saint-Marc Girardin
rühmt Gay's Fabel „The Fox on the Point of Death": „L'histoire est
bien mise en scene et le drame vif et anime, digne de Tauteur du Gueux.“
Ein Fuchs, ein alter Sünder, den Gewissensbisse quälen, ermahnt
auf seinem Sterbelager in eindringlichen Worten die zahlreichen um ihn
versammelten Jungen zu einem guten Lebenswandel, um den verloren
gegangenen guten Namen wieder zu gewinnen. Das Drama wäre fertig
und könnte an Einheit und Lebendigkeit nur gewinnen, wenn der dra-
matische Schlufs der Fabel:
but hark! I hear a hen ihat elueks,
Go; but be moderate in your food,
A ehieken, too, might do me good,
sich unmittelbar an diese Ermahnung anschlösse. Statt dessen läfst Gay
einen jungen Fuchs eine Abhandlung über den verloren gegangenen guten
Namen halten:
„The counsel^s good", a fox replies,
„Gould we perform what you advise.
Think what our aneestors haue done;
A line of thieves from son to son.
To ns deseends the long disgrace,
And infamy has mark'd our race.
Though we, like harmless sheep should feed,
Honest in thought, in word and deed,
Whatever hen-roost is deereas'd,
We shall be thought to share the feast.
The change shall neuer be believ'd:
A lost good name is ne'er retriv'd".
Diese Rede ist ächt englisch; wie klug, mit welchem Selbstbewulstsein
spricht der junge Fuchs! Wo er nur die Weisheit vom nicht wieder
1) So erklärt sich auch, warum Lafontaine keine Fabeln erfunden hat. Er
hat die konkret gegebenen Fabelstoffe genommen, sie betrachtet, wie er die einzelnen
Vorgänge im Natur- und Menschenleben anschaut, sie in seiner Weise wiedergegeben
und aus den einzelnen Fällen auf das Allgemeine geschlossen. Die Engländer gehen
vom Allgemeinen auf das Einzelne, und reflektieren im Einzelnen über das Allgemeine.
 
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