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Ulk: illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire — 30.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.29961#0379

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Seite H » Nr. H8


29. November s90f

Das Dreiverhälmiß.

Nach dem neuen Roman von Johannes Schlaf: „Die Suchenden".

r. Erhard Falke kam von Ilona und ging zu Greta.

Wenn man ihn so dahingehen sah mit seinem weich-
sohligen Trotten, ahnte man nicht, was er alles war.
Vielbeschäftigter praktischer Arzt, der so reich verdiente, daß er
den ganzen Tag müßig an Greta oder an Ilona denken konnte,
Bakteriologe, Lenker, Dichter, Träumer, Trinker, ein Mann, der
ununterbrochen innenlebte, aber auch gern das chice Spazier-
stöckchen mit Silbergriff in der behandschuhten Rechten wippte.

Liese Handschuhe hatten die lackige Glanzfarbe der reifen
Kastanie. Nur aus der Innenseite, an den Spitzen des Zeigefingers
und des Daumens, dort wo Erhard Falke die wüstenstaubgrau-
braune Henry Clay zu halten Pflegte, hatte das Leder eine Nach-
dunkelung erlitten, welche den traurigen Erdton frischer Gräber
ins Gcdächtniß rief und selbst jetzt, wo die Frühlingssonne durch
den Blust des Blüthenschnees mit goldigen Kringeln darüber hin-
glisterte, wehmüthig an Verderben und Vergessen gemahnte.

Erhard ging zu Greta und kam von Ilona.

Greta war seine Frau. Ilona ....

O, er liebte auch Greta sehr, wenn sie so auf der Chaiselongue
hingcstreckt ruhte. Lichtfeegrün war die Tapete ihres Boudoirs
mit einem Gewinde von chamoisgelben Chrysanthemen, durch die
sich mattviolette Arabesken schlangen, durchkreuzt von zierlichen
Goldfäden. Dies alles opalisirte nun unter dem Licht der von
einem broncefarbenen, mit leise unter den Ausstrahlungen der
Wärme zitternden Frangen geschmückten Schirm bedeckten, 172 Eenti-
meter hohen Ständerlampe.

Erhard küßte Greta und sagte: „Ich liebe."

„Mich?" fragte sie und erhob ein wenig das Haupt, so daß
ein Strahl der vor dem Fenster stehenden Straßenlaterne das
Muster des milchkaffeehellen Store auf ihre fast noch jungfräulich
geformte Nase warf.

„Auch Dich!" erwiederte er. Er fühlte, daß Greta ihm nöthig
sei. Greta war eins seiner Schicksale.

„Aber ich liebe auch Ilona!" fuhr er fort, „Ilona, die Klavier-
und Eesanglehrerin, die die Diphtheritis hatte und jetzt mich hat.
Gestern habe ich ihr einen seidenen Spitzen-Jupon gekauft, von
einem mattschillernden Glanz, der an das Auge eines im Liebes-
kampf müde gewordenen Raubthiers erinnert. O Greta, Mutter
meiner Kinder, gern will ich auch Dir einen solchen Jupon schenken."

„Er liebt mich also wirklich," dachte Greta und sagte mit ihrer
aschblonden Stimme: „Ach ja, mein Herz. Aber was soll's mit
dieser Ilona?"

„Ich möchte sie hierher in unser Haus nehmen. Denn auch
sie ist mein Schicksal. Ich kann ohne Euch Beide nicht leben.
Fort mit der Monogamie! Es lebe die Mormonogamie! Du und
sie! Tie frauliche Abgeklärtheit und der jungberdige Feuerwein!

Ich sehe in die rosigsten Zukünfte. Du, sie — und ich,-das

Treiverhältuiß! Das ist das Gesetz, dem wir nachleben sollen,
neue, bessere Menschen dem neuen, besseren Gesetz!"

Greta hatte bewundernd an seinen Lippen gehangen.
Er wollte das fremde Mädchen ins Haus nehmen? Gern. Sie
war glücklich, ihm den kleinen Gefallen thun zu können. Sie
erhob sich sofort, nur zu Prüfen, wo am bequemsten die Lagerstatt
für Ilona aufzurichteu wäre.

Erhard Falke trat in Ilonas Wohnung, die wieder ganz vom
Ruch des Heliotrops erfüllt war.

„Edmund war hier!" rief er, „leugne nicht. Ich habe doch
diesem unreifen Primaner Dein Haus verboten. Aha, da hat er ja
auch wieder Blumenfüllhörner gebracht. Fort damit! Die Hörner
kommen mir allein zu."

So rief Erhard und zupfte nervöse an seiner kupfergelben, mit
uachthimmelblauen Punkten besäten Kravatte.

Ilona stand am Spiegel und band sich eine Schleife ins Haar,
deren zappeliges Grün an das Krifteln junger Stachelbeersträucher

im Mai erinnerte. Sie war in einem elfenbeintönigen Kleck e
nach der Schule des van de Velde, den mit einem schelmischen
Karminhauch übergossenen Hals frei, hinten vom Nacken bis zum
Saum eine breite, abstehende Falte.

Erhard hatte diese Falte so lieb. Aber heute . . .

„Du bist verstimmt!" sagte sie, „das ist ganz unmiß-
kenntlich."

„Ja," rief er, „ich bin es! Du empfängst den Schuljungen
— bin ich Dir nicht prima genug? Und dann auch, weil Du
nicht mehr in meinem Hause bist. Greta dort! Du hier! Zwei
Wohnungen — doppelte Buchführung! O, wie edel war sie, unsere
Dreiliebe, wie originell, wie bequem!"

„Ja, aber Greta!" sagte Ilona und zündete sich eine Cigarette
an, weil sie wußte, daß Erhard, den sie über alles liebte, das
nicht ausstehen konnte.

„Ach ja, Greta!" sagte Erhard. „Sie ist doch eifersüchtig
geworden. Noch nicht reif für die neuen Dinge! Zog sich in sich
selbst und zu ihrem Vetter Alwin zurück, diesem Landbebauer mit
der blödsinnigen Gesundheit. O, wie ich sie hasse, diese Gesundheit!
Schon als Arzt. Und dann, weil ich glaube, daß nur die Ueber-
feinerung, wie ich sie darstelle, die menschheitliche Zukunft garantirt.
Leute wie ich sind die Väter der neuen Gemeinschaft, die einst
diese Erde regieren wird, durch noch ungeahnte Entwickelungs-
krämpfe hindurch zu unsagbaren Wonnedelirien!"

Ilona hatte sich gelangweilt, wie immer, wenn Erhard
geistreich wurde. Sie war froh, als es läutete. Es war der
Briefbote.

Aber wie erschrak sie, als sie die vom Postamt 61 Nach-
mittags zwischen 4 und 5 Uhr bestellte, durch Mehrfrankatur zur
Rohrpostsendung gemachte, mit dem Bilde der Siegesallee geschmückte
Ansichtskarte las, aus der ihr der Primaner Edmund mittheilte,
daß er sich soeben das Leben genommen habe.

Ohnmächtig sank sie an Erhards Schulter. Er aber sah sie
an mit einem jauchzenden Triumphblick. Nun war sein Liebes-
bund mit ihr durch Blut besiegelt, der tobte Edmund war der
Priester, der ihn unlöslich eingeweiht hatte. Bravo, guter Edmund!

Ilona aber richtete sich auf und weinte. Er war doch ein
guter Junge gewesen, dieser Edmund. Und die Blumen, die er
immer brachte. So sprach sie sich freimüthig aus.

- Erhard starrte sie an. Mit knirschenden Kinnladen. In
wahnsinniger Eifersucht prügelte er sie durch. Puffte und knuffte
sie, schlug mit der stachen Hand, mit der Faust, mit dem Ellbogen,
mit dem Absatz seines mit acht Knöpfchen besetzten Zugstiefels.

Vor heißestem Glück schloß sie zuerst die Lider.

Erhard sah an dem Blick, mit den: sie jetzt die sammteneu
indischen Augen öffnete: sie liebte ihn. Sieg! Sieg! Jetzt erst
liebte sie ihn. Sie hatte seine Mannheit erkannt. Liebte ihn.

„Ilona!" Wie einen seligen Jubelschrei rief er es aus.
„Bald prügele ich Dich wieder, Heißgeliebte!"

Jetzt erst hatten sie sich ganz gesunden, die Suchenden.

Erhard ließ sich von Greta scheiden und ging mit Ilona an
die See. Das Meer sah wie eine Sagosuppe aus. Dazwischen
flaschengrüne Tönungen, salontiuteuviolette und sepiabräunliche
Nüancen.

Ilona trug einen lichtgelben Staubmantel, eine runde, weiß-
und blaugestreifte Wollmütze aus dem schwarzen Haar. Erhard
hatte einen Hellen Strandauzug, eine fast noch weiße Weste, seidene
Strümpfe mit krokosfarbenen und diamantweißen Ringeln. Seine-
Wangen zeigten in dieser leuchtenden Helle einen rauchblaugrauen
Schimmer. Er war frischrasirt.

So saßen die beiden herrlicher: Menschen im Dünensand,
zwischen Sandflohheerden, und trieben ferneren Vollendungen
entgegen. F. F.
 
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