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Anzeigen nehmen außerhalb Kaffels entgegen: Haasenstein u. Nogler in
Frankfurt a. M., Hamburg, Magdeburg und Wien. — Rudolf Moffe
in Berlin, Frankfurt a. M., Stuttgart, München und Köln. —
G. L. Daube u. Co. in Frankfurt a. M., V erl in, Hannover u. PariS. —

A

Üorgen-Ausgabe.

-

--q,

Bernhard Arndt in Berlin. — Jnvalidendank inBerlin, Dresden und
Leipzig. — I. Barck u. Co. in Halle. — Adolpho Grau in Erfurt. —
Adolf Steiner in Hamburg. — E. Schlotte in Bremen. — Ph. HeinSberger
in New-Aork, 151 Franklin Str. und 89 Delancey Str.
-1-

Nr. 348. Kaffel, Dienstag, 3. August 1886. 28. Jahrgang.

Die „Hcssische Morgmzcitung" erscheint täglich Morgens und Abends, mit Ausnahme von Sonnabend und Sonntag Abend und Montag Morgcn, Sonntags mit der illustrirten Beilage „Fcicrstundcn". Der vierteljährliche Abonnementspreis
bctragt für dic Stadt Kasscl mit Brinacrlohn -t Mk. bei den Postanstalten t Mk. 75 Pfg. Abonncments und Jnserate nimint die Expedition dicser Zcitung, Oberc Köniastraste 22, an. Die gespaltcne Petitzeile
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werden angcnommen bci allen Kaiserlichen
PoWnstalten und bei der Expedition diefes
BMtes

Oaffel, Ob. Königstr. 22.

Zur 500 jährigen

Jubelfeier der Universität Heidelberg

Mit dem ersten Tage dicser Woche haben die
Jubiläumsfeicrlichkeiten in der alten Neckarstadt
Hcidelberg bcgonnen. Ein halbes Jahrtausend hat
die ltupsrto 6m olrr nun hinter sich. Keine andere
deutsche ltniversität kann sich rühmeu, während
eines gleichlangen Zeitraums als Pflanzstätte
deutschcu Geistes und deutscher Wisienschaft der
Welt geleuchtet zu haben. Prag zwar und Wien
sind früher eutstanden als Heidelberg, haben aber
den Charakter der deutschen Hochschule nicht bewahrt
und deshalb an Heidelberg den Ruhm, die älteste
dcutschc Univcrsität zu sein, abtretcn müffen. Jhre
Gründung fällt in die Regieiungszeit des Pfalz-
grafen Ruprecht I. Jhn verdroß es, daß seine
Pfälzer nach der Seinestadt pilgertcn, um sich dort
Untcrweisung in den Wisienschaften zu holen. Er
suchte bcim Papst Urban VI. um die Erlanbniß
nach, eine Hochschule odcr wie es Ruprccht nannte,
cin „Gencralstudium" errichtcn zu dürfcn. Die
Erlaubniß wurde gern gegeben, weil Urban den
Einfluß der pariscr Universität, welchc sich dem
Gegenpapst Clemens VII. angeschlosien hatte, da-
dnrch zu miudern hosfte. Auch wurdc iu der
uämlichen Absicht, wie es schcint, der aus Paris
vertricbenc Gelehrte Marsilius von Jngen zum
irsien Rektor au die neue Hochschule in Heidelberg
berufen. Seinem Eifer und Geschick gelang es bald,
dcr Akadcmie großen Ruf zu verschaffcn. Ein Jahr
nach ihrer Gründung, also 1387, hatten sich bereits
nahezu an 600 Studcnten zusammengefunden und
wcit über hundcrt ließcn sich in der Folgezeit jähr-
lich daselbst immatrikuliren.

Jn dem halben Jahrtausend, auf melches die
Itupsi'to Oarolü nunmehr zurückblickt, hat es neben
glücklicher aber auch nicht an trüber Zeit für die
Unioersität am schönen Neckarstrande gefehlt. Wie
manche deutsche Hochschule ist nicht den Stürmen,
welche über Deutschland hinbrausten erlegen. Die
Hcidelbergcr aber hat die Stürme der Reformation,
des 30 jährigen Krieges, dcr Bernichtungskriege
Ludwigs XIV,, der französischen Revolution und
der Napoleonischen Epoche glücklich überdaucrt.
Ward auch das prächtige Schloß eine Beute fran-
zösischcr Vernichtungswuth, kam auch die hcrrliche
Bibliothek in die Hände der Jünger Loyola's, welche

sie nach Rom schleppten, wo sie noch heute den
besten Theil der vatikanischen Büchersammlung aus-
macht, der Geist deutscher Wisscnschaft blieb hicr
lebendig und trieb, von wohlwollender und kundiger
Hand gefördert, auch nach den langeu schweren
Zeiten, in denen Heidelberg unter den Jcsuiten
darniederlag, immer wieder auf's neue die herr-
lichsten Blüthen. So repräsentirt denn die kuporto
Onroln die Kontinuität deutscher akademischer Bil-
dung während eines 500 jährigen Zeitraums.

Eine neue Epoche in der Geschichte der Uni-
versität Heidelberg hebt mit dem Jahre 1803 an.
Knrfürst Karl Friedrich brachte zu jener Zeit durch
seinen Minister von Reitzenstein neues Leben in
die Hochschule. Eine freisinnige, unabhängige
Geistesrichtung hielt damals ihren Einzug in Hei-
delberg und bis auf die heutigen Tage hat sich
der nämliche edle Geist, der Quell liberale Gesin-
nung, frisch erhalten.

Viel Ehre wird darum aber auch in diesen
Tagcn der Heidelberger Universität zu Theil. Die
gelehrte Welt von ganz Deutschland nimmt an ihrem
Ehrentage Theil. Zahlreiche Fürsten überbringen
Glückwünsche, unter ihnen als erster der deutsche
Kronprinz, welcher selbst als fröhlicher Student
einst in Vonn die „deutsche Burschenherrlichkeit"
empfunden hat. Auch der Papst hat einen Ver-
treter zu der Jubelfeier der ccht protestantischen
Hochschule cntseudet, welche im Kulturkampf tapfer
mitgefochten hat. Dieser bcmerkenswerthe Schritt
des Papstes veranschaulicht deutlich die große Wand-
luug, die seit Kurzem iu deu Beziehungcu des
deutschen Kaiserreichs zur Kurie eingclreten ist, und
wird in gewisser Beziehung gleichsam als ein Trumpf
der freisinnigen Geistesrichtung gelten können.

Alldcutschland abcr, an desicn EiMIng die deutschen
Universitätcn, und unter ihnen Hcidelbcrg mit an
erster Stelle, einen wesentlichen Antheil gehabt haben,
hegt heute den Wunsch, daß die Uuporto Ourolg. noch
lange eiue Leuchte deutschen Geistcs und dcutscher
Wissenschaft sein möge, und so wünschen auch wir der
gimn umtor am rcizenden Neckarstraiide in uotornum
Blühen und Gedeihen und der glänzenden in
Heidelbcrgs Maucrn versammelten Ooroim frohe
Festtage! -

Die „Berl. Pol. Nachr." schreiben: „Das
der Meldung von der angeblichen Fertigstellung
des hunderttausendsten Repetirgewehres
nachträglich entgegengcsctzte Dementi legt die Frage
sehr nahe, ob es cine ersprießliche Gepflogenheit
der TageSpresse genannt werden kann, ohne Kritik
alle ihr zugetragenen Notizen ans dem Gebiete dcr
deutschen Wehreinrichtungcn aufzunehmen. Wcr
mit den einschlägigen Verhältniffen auch nur ganz
oberflüchlich bckaunt ist, der weiß anch wie streng
zurückhaltend die eigentlich zustündigen Kreise, also
namentlich Offizieren und Fachtechnikern gegenüber
der Oeffentlichkeit im Mittheilen von Vorgängen
innerhalb ihrer Berufssphäre sind. Der Regel
nach darf man daher im Vorhinnein behauptcn,
daß militärische Notizen wie sie wohl öfterö ihren
Weg in die Spalten der Tagespresse findcn einer
mehr oder minder trüben Quelle cntfließen und
entweder überhaupt der Begründung ermaugelu oder

doch so lückenhaft ausfallen, daß dem Laien oft
ganz falsche Begriffe beigebracht werden. Nutzen
wird durch eine derartige Reportage kaum gestiftet,
untcr Umständen aber kann das Augenmcrk Unbe-
rufener rege gemacht und m Folge desien die auf
unseren mllltärischen Kräften lastende schwere Ver-
antwortlichkeit gänzlich stzweckloser Weise vergrößert
werden. Wir würden "es daher für sehr angezeigt
halten, wenn alle Nedaküonen wohlgesinnter Zei-
tungen in Aufnahme militärischer Fachnotizen mit
strengster Auswahl vcrführen und grundsätzlich allen
derartigen Mittheilungen ihre Spalten verschließen
wollten, die nicht zweifellos kompetenten Ursprungs
sind. Sie würden dadurch ihre Leser um nichts
verkürzen und übrigens nur eine Pflicht des publizi-
stischen Taktes und der Vaterlandsliebe erfüllen.

Zu 1er schon bckannt gewordcnen Anwcsenheit deS
Erzbischofs Dinder in Berlin, welcher daselbst im
tiefsten Jnkognito wcilte, bcmcrkt das „Berl. Tagbl.": Da
auch dcr Kultusminister zur Zeit in Berlin weilt, so wäre
es beinahe unnatürlich, wollte man nicht annehmen, daß die
beiden hcrvorragcnden Pcrsönlichkeiten vcrtrauliche Unter-
redungcn gcpslogcn. Vermuthen kann man, daß cs Fragcn
der Priester-Anstellung gewescn sind, welchc den Erzbischos
herbcigeführt haben und daß dcr Letztcre im Allgcmcincn das
Bcdürsniß der Nussprache im Rahmen des bisherigen guten
'Einvernehmens mit der Staatsgewalt empfunden hi t.

Die Ansiedlungs-Kommission für Posen
und Westpreußen wird bereits Mitte dieser Woche
in Posen zusammentreten, um unter dem Vorsitze
des ncuen Oberprüsidenten von Posen, Grafen
Zedlitz-Trützschler, zunächst über vcrschicdene Form-
fragen Bcschlnß zu fassen; ihre eigentliche Thätig-
kcit wird sic erst spätcr beginncn.

Wie den „B. P. N." aus Hamburg mitgetheilt
wird, ist iu Kamerun auf Grund ciner Verord-
nung des dortigeu deutschen Gouverneurs die
Reichömarkrechnung eingeführt worden. Zur
Bcfricdigung des GeldverkehrS wurden schon größere
Posten von Thalerstücken von den betheiligten kauf-
männischen Firmen in das deutsche Schutzgebiet
eingcführt. _

Berlin, den 2. August.

Minister v. Bötticher, der seit etwa vierzehn
Tag u bei dem Freiherrn von Bodenbauscn auf
Radis wcilt, wird, wie schon mitgctheilt ist, in
diescn Tagen von dort zum Kurgebrauch nach
Gastein reisen und erst gegea Ende August gleich-
zeitig mit dem auf seiner Gesitzung am Bodensee
weilcnden Finanzminister v. Sch olz hierher zurück-
kchren. Mmister v. Goßler wird nächsten Mou-
tag seinen Urlaub antreten und bekanntlich zunächst
auf einige Tage nach Heidelberg, wo er stndirt
hat, zur Jubelfeier reisen; gleichzeitig wird dann
Minister Maybach hier zurück erwartet. Der
Kriegsminister wird Mitte August nach der
Rückkchr der Minister Friedberg uud vou Putt-
kamcr und Minister Dr. Lucius erst Anfangs
September auf Urlaub geheu.

— Der hiesigc französische Botschafter Baron
de Courcel hat die Leitung dcr Geschäfte wiedcr
übcrnommcn; nach allem, was hier zu erschen ist,
schweben die Verhandlungeu übcr die Person seines
Nachfolgers noch und ist insbesondere die übliche

Anfrage, ob die Persönlichkeit dcs gewählten Diplo
maten genehm würe, hierher noch nicht ergangen

Aus dem Reiche.

Mciffe», 29. Juli. Einen neuen Beweis
für den Eifer, mit welchem unser Reichskanzler-
Amt die Angelegenheiten des deutschen Handels
im Auslande vertritt, lieferte eine Verwickelung,
in welche die hiesige Nähmaschinenfabrik von Biesolt
und Locke mit der spanischen Regierung gerathen
war. Dieses Haus hatte 25 Nühmaschinen an
einen Kaufmann in Spanien geliefert, dessen Ge-
schäft noch vor Eintreffen der Sendung aus irgend
einem Grunde aufgelöst worden war. Die Regie-
rung belegte die nun empfängerlosen Maschincn
mit Beschlag und kündigte ihre Versteigerung an.

Nach fruchtlosen Bemühungen ihres Vertreters in
Madrid wandte sich die Finna Biesolt und Locke an
den Reichskanzler. Eine Drahtnachricht an unseren
Gesandten Grafen Svlms in Madrid vcrhinderte
sofort die Versteigerung der beschlagnahmten Ma-
schinen. Jn kürzesten Zeiträumen wiederholten sich
sodann die Vorstellungen unscres Gesandten beim
spanischen Ministerium. Die Maschinen solltcn be-
reits versteigert sein, fanden sich aber auf eine
Entschüdigungsfvrderung hin wicder und wurden
schließlich dem hiesigen Absender zur Verfügung
gestellt, der vielleicht stolzer auf die Hülfe des
Rcichs ist, als erfreut übcr den geschäftlichen Vor-
theil. Die kasierlose, die schreckliche Zeit ist eben
vorbei!

Richland.

Moska», 31. Juli. Die „Moskauer Zeitung"
besprichtdas Verhältniß zwischen Rußland und _
Deutschland und sagt: „Wir wünschcn, daß sich s - . ^
Rußland in freien, freundschaftlichen Beziehungen
zu Deutschland befinde; jedoch sollten wir ebcn
solche Beziehungen auch zu anderen Müchten, des-
gleichcn zu Frankreich haben. Wlr erachten eö als
gänzlich umvahrschemlich, daß Deutschland irgend-
wann Streit mit uns suchen wolltc; aber wenn
England, was wohl möglich ist, mit uns im nahen
oder fernen Osten kollidirte, würde das jetzige
Frankreich, welches zu England fast in nicht ge-
ringcrcm AntagoniömuS steht als zu Deutschlcmd,
wahrsch^.ilich nicht müßigcr Zuschauer deS Kampfes
blcibcn, worüber wir zu klagen wahrlich keinen
Grund hütten."

Lokales.

— Am 5. August cr. von Morgens 9 Uhr
biö Abends 7 Uhr und am 6. August cr. Vor-
mittags von 8 bis 2 Uhr, Abends von 6 bis 9
Uhr, wird das 2. Bataillon des 83. Jnfanterie-
Regiments nördlich des Gehöfts Sichelbach, mit der
Schußrichtung gegen Wohlhagen, gefechtsmäßiges
Abtheilungsschicßen mit scharfen Patroncn ab-
haltcn. Vor Betreten des Schießplatzes wird ge-
warnt.

— Der am Sonnabcnd in Bayreuth ver-
storbcne Klaviervirtuose und Komponist Franz
Liszt ist auch in Kasiel aufgetreten, jcdoch soweit
wir ermitteln konnten, nur einmal, im Jahr« 1841.
Er gab ein Konzert im Hoftheater.

Feuilleton.

Um des Mammons willen.

34j Roman von W. Höffer.

Fortsetzung. (Nachdrnck verboten.)

Der Gcndarm sah über die Schulter des dörflichen
MachthaberS und dieser selbst buchstabirte langsam dcn
nachstehenden Satz zusammen:

„Mein Testament. Jm Fall mcines Todcs sofort
abzuschicken an Herrn Justizrath Ernst Leonhart in . ."

„Diescs Packetchen ist's alsv nicht!" fttgte er hinzu.
„Jetzt zum Koffer.^

Einen Augenblick knirschte hciscr vor Zorn der
Graf. „Darf ich die Handschrift dcr Adresie lesen?
-— Für wen besorgen Sic übrigens die Angelegenheit,
Fräulein Weber?"

„Darüber eine AuSkunft zu geben, bin ich nicht
verpflichtet, Herr Graf. Es handelt sich um das
Jnteresse drittcr Pcrsonen."

Der Gutsherr gab mit bcbenden Fingern dies
Konvolut, welches ihm dcr Vogt gcreicht hatte, demselben
zurück. „Es genügt schon," prcßte er mühsam hervor,
„gehen Sie nur. Jch brauche nichts mehr zu erfahrcn."

Ilnd ohne Gruß, ohne ein einziges wciteres Wort
verließ cr das Zimmer. Die Zurückblcibcnden sahen
ihn schwanken gleich eincm Berauschten

Zwci Minuten später saß FranziSka im Wagen
und der Vogt schüttelte ihr zum Abschied noch cinmal
übcr das andere die Hand. „Wohin wollen Sie sich
denn jetzt begcben, liebeS Fräulein?" fragte er herzlich,
„nicht zunächst zur Frau Postorin? DaS wäre doch
gewiß das beste."

Franziska schüttclte den Kopf. „Jch will ihr erst,
wenn sich eine ncue Stellung gefunden hat, von dem
plötzlichen Bruch meiner bisherigen Verhältnisse schreiben,
licber Herr Berthold. Die arme Mama erträgt ohne-
hin des Schweren und Schlimmen mehr als genug.
Aus dicscm Grunde bitte ich Euch recht freundlich, —

schweigt über das, waS Jhr eben mit angesehen
habt. Eine solche Botschaft könnte meine Mutter
tödten."

Der Voigt lächelte. „Wic daS Grab, liebcS
Fräulein," verficherte er. „Die ganze Geschichtc war
ja doch nur cine Komödie, — um irgend cines andcren
Zwcckes willen."

Franziska schauderte, sie lehnte sich nach kurzem
Abschiedsgruß wie gebrochen in die Polster zurück.
Heimathlos, freudlos, dem Zufall überlassen, so ging
sie jctzt in die Welt hinauS — wohin? DaS wußte
nur Gott.

Langsam trabten die Pferde in der Sonnengluth
deS SpätnachmittagS dahin, in den tieferen Thälern
lagerten schon bläuliche Schatten, Krähenschaaren
segelten flügelschlagend den Hochwäldern zu und
schärfer zeichncten sich gegen den purpurnen Rand
des Horizontes die Umrisse einzelner hervorragender
Punkte.

Hinter den Baumkronen lagen dic Hütten der
Zigeuner, seitwärtS dehnte fich weit und öde daS
Haidefeld. Eine Dame auf tänzelndem, zierlich ge-
bautem Rosie flog im raschen Trabe daher und an
den Feuern vorüber. Jhr blaues Seidenkleid schillerte
wie wallende Fluth, ihr langer weißer Schleier um-
wob nixenhaft das schöne Haupt mit dem blonden
Gelock und den Augcn, in denen es so verführerisch
glünzte.

Juliska ließ das Pferd langsamer gchen, — von
drüben her nähcrte sich mit dem Hute in der Hand
cin Zigeuner, ein schlanker, dunkeläugigcr Bursche, er
faßtc die weiße entbößte Rechte der jungen Frau, er
schien in den Linien derselbcn zu lcsen, — was dic
beiden Personen auf ödem Hochplateau mit einander
flüsterten, welche Worte und Gedanken sie tauschten,
das hörte kein menschliches Ohr. Nur die Ge-
stalten waren weithin sichtbar und alS die schöne
Frau ihr Thier wieder antrieb, da leuchteten aus
den Blicken der beiden etwas wie ein satanischcs Froh-
locken. —-

Juliska hatte den Wagen von Hollingen nicht be-
merkt. Sie ließ daS Pferd ausgrcifen, soviel es
mochte, und Staub und dürre Blätter wirbeltcn in
Wolken der verwegenen Reiterin nach.

V.

Die Vorhänge des Ateliers waren fest zusammen-
gezogen, drinncn fluthctc gedämpftes Licht in seltsam
violetten und röthlichcn Tinten um die weißen schönen
Nymphenleiber, die Engelsgcstalten und betenden odcr
schlafendcn Kinder. Ein kleines Pult war in der
Ecke aufgcstellt, mehrere Briefe und engbeschricbene
offene Blätter lagen zerstreut in den Fächern, cS
schien, als sei gründlich aufgeräumt, in allen Winkeln
gesichtet und geordnet worden.

Trotz der starken Augusthitze glühtcn im Ofen die
knisternden Fünkchen eines verglimmcnden, fast verlosche-
nen Feuers, schwarze lcichte Asche stäubte umher, hie
und da blickte aus dersclben ein Eckchen unverbrannt
gcbliebcnen Papiers gelb und zerknittert hervor,
ganze Massen zerrissener Fetzen lagen in cinem Körbe
daneben.

Die Gruppe in der Ecke war heute mit mehrcren
Seilen fest umschnürt, andere Gegenstände nach Gleichheit
und Zahl geordnet, kurz cs hatte den Anschein, als
sei hier eine plötzliche Abreise, eine gewaltsame, alleS
umstürzende Katastrophe in Vorbereitung begriffen.

Am Pult saß Krafft, den Kopf in die Hand
gestützt, blaß und mit cinem Gesicht, das deutlich die
durchwachte Nacht verrieth; dann und wann schrieb er,
meistens aber blickte d»s Auge träumend ins Leere,
in die Bilder ciner körperlosen Welt. Es mußtcn
trübe Gedanken sein, die ihn beschäftigten, er
überhörte mehrere Male ein Klopfen an die Thür
und fuhr erst auf, als draußen sein Name genannt
wurde.

„Jch bin's, Krafft. Auf einen Augenblick, mein
Junge!"

„Gleich Papa!"

Er strich mit der Hand durch daS Haar, dann

ging cr zur Thüre in dcr Absicht den Vatcr drüben
im Wohnzimmer zu cmpfangen, aber dazu war es
nicht mehr früh genug. Graf Maximilian stand
schon auf der Schwcllc und betrat daS Atclicr, ehe
noch seinem Sohne Zeit blicb, ein einzigeS Wort zu
sprechen.

„Wir können unS auch hier recht wohl cinen
Augenblick unterhalten," sagte er hastig, während seine
Augen prüfend jeden Winkel, jede Einzelheit einer
Musterung unterzogen. „Deincm Vatcr wird doch
dies eigenthümliche Sanktum nicht so hermetisch ver-
schlosicn sein, wie sonst wohl den Besuchern unsereS
Hauses? —"

„Jch habe ein paar nothwendige Worte mit Dir
zu reden, mein lieber Krafft!"

Der Sohn deutete auf einen Sessel am Fenster.
„Nimm Platz, Papa. Jch höre Dich."

„Nicht so zeremoniell, mein Bcster," wehrte
der Gutsherr. „Du siehst aus, alS hinge über
Deinem Haupte ein Todesurthcil, — natürlich AlleS
dieser kleinen Zigcunerin wegen. Abcr weshalb in
des Himmels Namen ließest Du sie denn auch
hierher kommen, weshalb mußtest Du das angenehme
Geheimniß preisgeben, damit Andere Kapital heraus-
schlagen?"

Kraffts edle ernste Züge schicnen noch blasier zu
werden. „Es wäre mir lieber, mit Dir über diesen
Gegenstand nicht zu sprechen, Papa," antwortete cr
sehr bestimmt.

„Weil Du Deine eigene Thorheit erkennst, junger
Herr! — Zum Hcnker, ich sage nichts, wcnn Du
Deine klcinen Privatvergnügen zu bcfitzcn wünschest,
denn das wollen wir schließlich Alle, aber etwas
Rücksichten, etwas äußere Form muß ich mir doch
ausbitten. Was hätte es geschadct, wenn Deine
Prcciosa einige Meilen von hier und in einer größeren
Stadt lebt, he? — Es ist doch, — äig.i)Is m'ompoi'ts!
— zu einsältig, sie in nächster Nachbarschaft und noch
außerdem im offenen Walde einzuquartieren!"

(Fortsetzung folgt.)
 
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