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Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Hessische Morgenzeitung — 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.16744#0003
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Anzeigen nehmen außerhalb KasselS enlgegen: Haasenstein u. Vogler in
Frankfurt a. M., Hamburg, Magdeburg und Wien. — Rudolf Mosse
in Berlin, Frankfurt a. M., Stuttgart, München und Köln. —
L. Daube u. Co. in Frankfurt a. M., B erlin, Hannover u. Paris. —

-Ausgabe.

Bernhard Arndt in Berlin. — Jnvalidendank in Berlin, DreSden und
Leipzig. — I. Varck u. Co. in Halle. — Adolpho Grau in Erfurt. —
Adolf Steiner in Hamburg. — E. Schlotte in Bremen. — Ph. HeinSberger
in New-Pork, 151 Franklin Str. und 8d Delanceq Str.

352.

RaffeL, Donnerstag, 5. August 1886.

28. Jahrgang.

Die „Hesstschc Morgcnzcitung" erscheint taglich MorgenS und AbendS, mit Ausnahmc von Sonnabend und Sonntag Abend und Montag Morgen, Sonntags mit dcr illustrirten Beilage „Fcierstundc«". Der vicrteljährliche Abonnementspreis
betrLgt sür die Stadt Kasscl mit Brinacrlohn » Mk. bei den Paftanstaltcn 3 Mk. 75 Pfg. Abonnemcnts und Jnserate niinmt dic Expedition dieser Zeitung, Oberc Königstraste 22, an. Die gespaltene Pstitzeile
kostet 20 Psg.; im Rcg.-Bez. Kasscl 1b Pfg., bei Privatanzeigen aus Kasscl im Lokalverkehr 10 Psg. Rcklame die vierspaltige Zeile 50 Pfg. Rcdaktion: Obcre Königstraste 22.

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auf die

„HkjW Mllrgeiljkitmig"

für

August und September

werden angenommen bei allen Kaiserlichen
Postanstalten nnd bei der Expedition dieses
Blattes

Aaffel, Ob. Köuigstr. 22.

Zur Hebung des Deutschthums
in Prag.

tz Wcnn es noch cines Beweises bedurft hätte,
daß das einmüthige Zusammenfassen aller Kräfte,
dic nimmer rastende Sclbsthülfe und eine Thätigkeit,
welche vor dem anscheinend Kleinsten nicht achtlos
vorübergeht, die wirksamsten Mittcl sind, um eine
wciterc Zurückdrängung des Deutschthums in Oester-
reich zu verhüten, wirksamer alö selbst dic Wieder-
kehr einer dcutschfreundlichen Regieruug, die ver-
jüngte Entwickelung des Dcutschthums in der Stadt
Prag, jencm so überaus wichtigen Posten, hätte
diesen Vemeis erbracht. Vor nicht allzu langer
Zeit hatte es den thatsüchlichen Anschein, daß das
Deutschthum Prags unrettbar und unhaltbar ver-
loren sei.. Jn verhältnißmäßig wenigen Jahren
war die Zahl dcr Deutschen nach den offiziellcn
Volkszählungsangaben ^ von 70 000 auf 32 000
zusammengeschmolzen. Man nahm an, daß das
Dentschthum in Prag sast ausschließlich auf die
Vertretcr der sogcnaunten „besseren Stände" be-
schränkt sei und lediglich aus Großhändlern, Groß-
industriellen und deren Angestellten, Gelehrten,
Stndenten, reichen Privaten und dergleichen bestehe,
daß es aber an einer eigentlichen volksthümlichcn
Grundlagc für dic Entwickciung dcs Deutschthumö
in Prag an eincm deutschen mittlcrcn und kleinen
Bürgcrstand fehlc. Die großen Vcrluste ließcn sich
ja nur dadurch crklärcn, daß man mit Recht an-
nahm, ein großer Theil klcinbürgerlichcr Volks-
gcnossen sei vom Slavcnthum in Prag — und
Prag ist typisch für die Verhältnisse in allen ge-
mischtsprachigen Städten — allmühlich aufgesogen
wordcn. Es war nun zunächst geboten, die erhal-
tenen Reste des mittleren und kleincn Bürgerstandes
in Prag zusammenzufassen und sie wirthschaftlich
und gesellschaftlich zu kräftigen. Jn Prag so gut
wie in Laibach und in anderen Städten hatte man
eine schwere Unterlassungssünde nachzuholen; die
Besitzenden und die gelehrten Kreise hatten bisher
von dcn deutschen Handwerkern und Arbeitern sich
abgcschlofsen. Wer den Einfluß gesellschaftlicher Be-
zichungen und den Druck wirthschaftlichcr Verhältnifle
gerecht würdigt, der wird darum auch bcgreifen
können, wieso die sich selbst übcrlaflenen „kleineren
Lcute" zu Tausenden dem Deutschthum entfremdet
Mrden konnten. Um das Vcrsäumte wenigstens

Feuilleton.

Jubiläumsgruß an Heidelberg!

Dort wo deS Ncckars Welle höher schäumt,

Der Odenwald das schmucke Ufcr säumt,

Wo nah' der Rhein umarmt die schwäb'sche Braut,
Mit frischem Gruß die Hardt herüberblaut,

Wo rasch der Strom verläßt der Schluchtcn Zwang,
Ein licblich Städtlein winkt vom Bcrgeihang:

O Heidelberg im Ncckarthal,

Sei mir gegrüßt vicl tausendmal!:,:

Auf grüner Halde ragt ein Baukoloß,

Der alten Pfalz gewaltig' Fürstenschloß,

Aus dcr Romantik Tagen, glanzerfüllt,

Schaut'S in die Zeit, gleich einem Märchenbild,

Der rohe Frevel, der es cinft entweiht,

Schuf seinem keuschen Rciz ein neues Kleid:

:,: O Hcidelberg, im Neckarthal,

Sei mir gegrüßt vicl tauscndmal! :,:

Der Odenwald und Schwarzwald, dichtbelaubt,
Wetteifern, zu bckränzen Dir Dein Haupt,

Dein Gürtel ist des Neckars blinkend Band,

Ein reicher Flor von Blumen Dein Gewand,

Und Deines Stromes heller Silbcrblick
Strahlt Deine Rcize holder noch zurück.

:,: O Heidelberg, im Neckarthal,

Sei mir gegrüßt viel tausendmal! :,:

Jn Deiner Hut, an Deiner üpp'gen Brust,

Ouillt frisch die Frcude, schäumt die Lebenslust.

Wo Schönheit thront, weilt auch die Weisheit gern:
Jm Reich des Wissens leuchtet hell Dein Stern,

Den deutschen Schwestern bist Du vorgeeilt,
Hast freiem Forschen cin Asyl ertheilt!

:,: O Heidelberg, im Neckarthal,

Sei mir gegrüßt, viel tausendmal!

in Etwas nachzuholen, trat vor etwa zwei Jahren,
wie bckannt, der deutsche Handwerkerverein in Prag
in'S Leben. Es war ein Mittel gcfunden, dcn
deutscheu Handwcrker gescllschaftlich zu hebeu und
vor Alleu auch ihu wirthschaftlich zu stützen; uud
iu überrascheud kurzer Zcit, allcrdings nach unsäg-
lich mühsamer und ausdaucrnder Arbeit, zeigte es
sich, daß Prag einen ganz bedeutendcn deutschcn
Handwerkerstand besitze. Heute zählt der Hand-
werkcrverein viele hunderte deutscher Gewerbetrei-
benden, er ist ein allgemein deutscher Volksverein
geworden und auf seinem Boden begegnen sich die
fünftausend, aller Schichtm der deutschen Prager
Bevölkerung angehörigen Mitglieder zu gcmein-
samen, ernsten nationalen Schaffen. Seit Kurzcm
hat der Verein eine Ausstellung in Prag vcran-
staltet, wclche von einem geradezn unerwarteten
Erfolg gekrönt ist. Die Erzeugnisse deö Gewerbe-
fleißes seiner Mitglieder werden in ganz Deutsch-
böhmen nach Gebühr gewürdigt, AusstellungSzüge
verkchlm nach Prag und das Band, das zwischen
der Provinz Deutschböhmen und dcn Deutschm
Prag's eine Zeit lana gclockcrt war, wird auf's
Nme festgeknüpft. Durch cine deutsche Fortbil-
dungSschule wird cS deutschen Lehrlingen möglich
gemacht, sich in Prag auszubildm, ohne in tsche-
chischen Schulm der unbedingtm Tschechisirung
zu verfallen. — Nmerdings ist in Prag durch dic
glücklichen Erfolge der Handwerkervcreinigung ein
ncucr Gedanke angeregt wordm, die Gründung
eines dcutschen Arbeiter - Kranken - Unterstützungs-
vercins. DieS soll der crste Schritt zur Bildung
eineS deutschm Arbciterstandes flin, von wclchem
derzeit kaum Spuren in Prag vorhanden sind.
Die dcutschen Elcmmte in den Arbeiterkreisen
hatten in Prag bisher immer in Abhängigkeit der
tschcchischen Arbeiter-UntcrstützungSvereine gestandm.
Die ncue Aufgabe bietet viele Schwierigkeitcn, sie
ist abcr sehr dankenSwcrth. Der tschechische Ar-
beiter ist nümlich, auch wenn er von sozialistischm
Jdccn erfüllt ist, immer national, dcr deutsche in
diesem Falle, wiewohl er grade durch dcn Bedürf-
nißlosercn, servileren, tschechischm Arbciter vcr-
drüngt und gcschädigt wird, verschwommen welt-
bürgerlich gesinnt. Mit Fleiß und Ausdaucr mird
abcr auch diese innere Schwierigkcit, die sich einer
Organisation dcs dmtschm Arbeiterstandes in Prag
und Böhmcn cntgegen stellt, viclleicht überwunden
werden. JedmfallS ist, was in dcm bereits auf-
gegcbenen Prag in der letzten Zeit für das Deutsch-
thum wiedergewonnm wurde, cin wuchtiger Hebel
zur Kräfteanspaunung, ein lebendigcr Beweis dafür,
mie thöricht es würe, den Muth sinken zu laffm
uud so das Deutschthum an gefährdetm Ortm mit
Gcwißheit preiszugebm.

Berlin, den 4. August.

— Grsf Herbert Bismarck, dcr Staats-
sckretär des Auswärtigm Amtes, wird vor dcm
1. September seine Geschäfte nicht wieder über-
nehmen. Es war ursprünglich angmommm, daß
er schon am 1. August auf seinen Posten zurück-
kehren würde. Aber nachdem ein Aufmthalt in
den Schweizer Alpen, von dem Graf Bismarck sich

l Auch ich bin einst, als junger Spiclgescll,

Gewallt zu Deiner Weisheit reichem Ouell,

Wie da die weiche Scele, sehnsuchtsvoll,

Von Lebensdrang und Jdealen schwoll,

Und Tanz und Reim und Speer- und Bccher-Schall
Fand in der Burst lebend'gcn Widerhall!

:,: O Hcidelbcrg, im Neckarthal,

Sei mir gegrüßt viel tausendmal! :,:

Die Jugend schwand, cs bleicht der Mcken Zier,
Schon hat die Zcit gefurcht die Wange mir,

Die Sorge hat die Ruhe mir geraubt,

Des Lebcns Hcrbst die Hoffnung mir entlaubt;

Doch jener Traum, den Dir mein Lenz verdankt,
Sich ewig^grün um .mein Erinnern rankt!

:,: O Heidelberg, im Neckarthal,

Sei mir gegrüßt vicl tausendmal!:,:

Ein halb' Jahrtausend, in der Geiskerschlacht
K.uporto-Os.roln hielt treu die Wacht,

Drum führt man heuer Dich zum Ehrentanz
Und krönt Dich mit dem gold'nen Jubclkranz!
So mögest stets Du bilden und erfreun,

Der Schönheit und der Weishcit Hochburg sein!
O Heidclbcrg, im Neckarthal,

Sei mir gegrttßt 'chiel tausendmal! :,:

Julius Türck-

Um des Mammons willen.

36j Roman von W. Höffer.

Fortsetzung. (Nachdruck verbotcn.)

Sulamith staud am Fenster des Försterhauscs.
Noch gestern so matt, so blaß, schien sie heute neu
crblüht in rosiger, trügerischcr Schöne, die stcchenden
Schmcrzen hatten nachgelassen, der Kopfkswar wie be-
freit von Druck und Banden. Sie lächelte, obwohl
Thränen in ihren Augen schimmerten.

Kraffts Brief, seitenlang, ein Heiligthum der Liebe,

vollstündige Erholung versprochen hatte, den ge-
wünschten Erfolg nicht gehabt hat, dürfte er sich
nun in ein Seebad begebcn, deffen Gebrauch, nach
Ansicht der Aerzte, crforderlich sein wird, um seine
völlige Wiederherstellnng zu bewirken.

— Der Chef der Admiralität, Generallieutenant
v. Caprivi, ist von seinem Urlaub am Sonn-
abend aus dem Harz hierher zurückgekehrt, doch hat
derselbe gestern wiedcr Verlin verlaffen, um sich
nach Kicl zn bcgeben, von wo er nach einigen
Tagen hier wieder eintrcffcn wird.

— Jn seinem Sommerurlaub im Bade Licben-
stein in Thüringen vcrstarb am Donntag Nach-
mittag der Präsident der Justiz-Prüfungskommission,
Wirkl. Geh. Ober-Jnstizrath Hcrzbruch. Erwar
das älteste Mitglied des JustizministeriumS und
gehörte demselben seit dem Dezember 1857, also
seit beinahe einent Menschenalter an. Jm Dezember
1857 wurde derselbe von seiner damaligen Stellung
als Appellationsgerichtsrath in Paderborn als vor-
trogender Rath in das Justizministerium bernfcn.
Jm September 1873 crfolgte seine Erncnnung
zum Präsidenten der Justiz-Prüfungskommisfion,
in welcher er den jetzigen Justizminister Dr. Fried-
berg ersetzte, der den Vorsitz in der Kommission
in Folge seiner Erncnnung zum Unterstaatssekretür
uiederlegtc.

Aus dem Reiche.

Miinchen, 2. August. Fürst BiSmarck hat
den Münchcnern große Freude bereitet, indem er
sich so viel wie möglich im offencn Wagen in den
belcbtestcn Straßen zeigte. Schon gestern Vor-
mittag bei dcn Besuchen, die er dem Prinzregenten,
dcn übrigen Mitglicdern dcs königlichen HauseS,
deu Miinstern uud obersten Hofbeamtcu abstattcte,
durchfuhr cr wicderholt die Ludwigstraße, den Pro-
menadeplatz, stcts von freudigem Zurufe deS Publi-
kums begrüßt, das des Sonutags wegen sich
außcrordcntlich zahlreich auf dcn Straßen bewegte.
Nachmittags nach dcr Tafcl beim Prinzregcntcn
muchte der Kanzler cine Spazierfahrt in den Eng-
l'Cchen Gartcn und durch dic Maximilianstraßc, in
meicher er besonders dem von Ziimbusch ausge-
führten Denkmal KönigS Max U. längere Zeit scinc
volle Aufmcrksamkeit widmcte. Auch hicr umgab
alsbald cinc große Menschenmenge dcn Wagcn,
welche sich dcr unerwarteten, aber hochmillkommcnen
Gclegenheit, den Fürsten zu schen und zu grüßen,
mit heller Freude bemächtigte. Es war kein Ruhe-
tag für den vielgefeierten Mann, aber die Münchener
danken es ihm von ganzem Herzen, daß er ihnen
so viele seiner kostbaren Stunden widmete. Glück-
licherweise waren die Fahrten von der Witterung
begünstigt und die Stadt wird im Sonuenglanze
nicht gerade einen unfreundlichen Eindruck auf den
Fürsten gcmacht haben. Heute Morgen nach 8 Uhr
fuhr derselbe mit der Fürstin und dem Gefolge
unmittelbar vom preußischen Gesandtschaftsgebäude
zum Zentralbahnhofe, wo sich wicder die bcim
Empfange anwesenden Beamten zum Abschiede ein-
gefunden hatten und wo ein unvorhergesehcner
Aufenthalt dadurch entstand, daß der Paris-Wiener
Schnellzug, mit welchem der Fürst die Reise uach
Salzburg fortsctzte, eine halbe Stunde zu spät hier

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lag versteckt auf dem Herzen, daS so treu für ihn
schlug, er hatte alles berichtet, alles der Geliebten
mitgetheilt und sie dringend gcbeten, dcm alten Förster
unter das schützende Dach seineS HauseS zu folgen.
Sulamith mußte nachgeben, obwohl sie cs ungern that.
Das sremde Mitleid schmerzt, sie sühlte sich gleich
allen Unglücklichen in der Einsamkeit wohler alö unter
Menschen.

Heute wollte er kommen, Fieberhitze wechselte in
ihren Adern mit plötzlicher Kälte. War es wirklich
Sünde?

Nur ein letzter Abschicd vor dem Sterben, Worte,
die Gottes Ohr hören durfte, — war es wirklich
Sünde?

Ein Zittern durchpflog ihre Glieder, die Stirn
brannte. So eng, so cng das fremde Haus, ihr
fehlten die Zauberstimmen des Waldes, das Rauschen
und Raunen seiner Blätter, das Murmeln der Quelle
von Stein zu Stein.

Hinter ihr öffnete sich geräuschlos die Thür und
erschreckend bctrat die Försterin das kleine Zimmer.
Wie konnte sich doch ihr Schützling aus bem Bette
wagen! — solche Unvcrnunst, solcher Leichtsinn!

Sulamith lächelte. „Bin ich krank, Mütterchen?
Alle meine Schmerzen sind gehcilt, nur trinken möcht
ich immerfort, — es brennt ,in der Brust. Bittc,
holt mir recht kaltes Wasser!"

Die brave Frau schüttelte draußen seufzend den
Kopf. „Das ist das lctzte Aufflackern, die Gnaden-
stunde vor dem Scheiden," flüsterte sie. „Jn dieser
Nacht noch geht alles zu Ende!"

Sulamith trank das kalte Wasser, aber die Unruhe
im Blute wollte sich nicht stillen lassen. Jhre Augen
glänzten, die Hände zittcrtcn immcr ganz leisc.
„Schon nach drei Uhr — uni diese Zeit wollte er
doch hier sein!"

Die alte Jlona kam nicht mehr. Das Christen-
haus war ihr verhaßt, sie hatte den Kopf geschüttelt
und allerlei Unverständliches in sich hinein gemurmelt,
— als Sulamith den wandernden Stamm verließ,

eintraf. Diese Frist nutzte der Fürst zu äußerst
lebhafter und unverkennbar sehr heiterer Unter-
haltung mit verschiedenen der anwesenven Herren.
Bei der Fahrt zum Bahnhofe wie bei der Abfahrt
des Schnellzuges wurde er wieder mit den herz-
lichsten und lebhaftesten Hochrufen seitens der zahl-
reich augesammelten Volksmenge ausgezeichnet. So
wird der Kanzler, der gleich der Frau Fürstin vom
Priiizregenten bci der Tafel mit höchster LicbenS-
würdigkeit bewirthet und unterhalten wurde, eine
angenehme Erinnerung aus der bairischen Haupt-
stadt mit fortgenommen habcn, die selbst scines Be-
suchcS stets in Freude gedenken wird. Nach der
Ankunft am Samstag Abend, ctwa um 10 Uhr,
wurde der Kanzler uoch durch cine eigenartige
Deputation überrascht. Jn einec hiesigen Künstler-
gesellschaft war man auf die Jdee gekommen,
dem eisernen Kanzler einen improvisirten „Will-
kommen" zu seiidcn. Flugs wurdc die Niesen-
pitsche aus Zinn, ein uraltcr Zunftpokal,
dcr gut seiue zehu Litcr faßt, mit Gersteusaft ge-
füllt und an den Hcnkel ein mit Tannenreis be-
kränzter Zettcl gchängt deS JnhaltS: „Da unser
Kanzler jüngst erklärt, daß auch sein Metier in
densclben Kreis gehört als wie Frau Musika,
Malerei und Poesie, denn „Kunst, nicht Wissen-
schaft sei Diplomatie", — so haben wir alle, die
sich der Kunst befleißen, den großen Kollegen will-
kommcn zu heißen."

Der also geschmückte „Riesentrunk" wurde so-
fort in klciucr Teputation (ohne Cylindcr uud
Glacö!) nach dem preußischen Gcsandtschaftshotcl
gebracht. Der Portier war nicht wenig verwundert
über dcn seltsamen Aufzug und das wunderliche
Gefäß um solche Zeit (cs war 10 Uhr des Abeuds),
aber nach pflichtschuldigcr Mclduug wurdcu die
Hcrrcii zum Kanzler geführt, der sich sammt sciuer
Gesellschaft über den gutcn Eiufall iiud die schlichte,
von Hcrzen kommende Ehrung lcbhaft frcute. Nur
Eincs bcdauerte er sehr: „daß ihm sein Arzt nicht
erlaube, auch scinerseits dcm Willkommcu rolle
Ehre auzulhun und dic ganze Kauue auszutrinkcu."
Er trank aber darauS wicderholt und die Andcrcu
halfen ihm, und als dic Ehrenboten zu ihrcn cr-
wartungSvoll harrendcu Zechgenoffen in die Kneipe
zurückgekehrt waren, da wurde selbige Nacht selbige
Pitsche noch des Oefteren gcfüllt und geleert ai-f
daS Wohl des „Eiserncn Kanzlers", dessen Namen
sie nun für immer führen wird. Wenn das der
alte deutsche Zimigießermeister, der vor 300 Jahren
deu Krug gegoffen, geahnt hätte!

Die Heidelberger Festtage.

Heidelberg, 4. August. Brvor wir in der
Beschreibuug der Jubiläumsfeierlichkeitcn fortfahrcn,
die gestern auf dcm Schloffe, wo der Großherzog
Gastgebcr war, uud hcute in der Universität mit
der Festrede, darauf im „Museum" mit einem Fest-
effeu der alma mator und am Abend mit dcm dem
Reklor mkixmllooutisZimus gewidmctcn Fackelzug
der Studenten ihrcn Fortgang nahmen, wollen wir
noch aus einem Bericht der „K. Z." auS Heidel-
berg über den Eiudruck, wclchen die St«dt jetzt
auf den Beschauer macht, kinigeS hier folgen
lassen. Die Stadt heißt ek da — hat sich in cinen

da folgte ihr nur der Hund, Fingal, ihr Frcund, ihr
Bcschützcr, er lag auch jetzt alS Wächter vor der Thür
und einmal knurrte cr sogar zornig, suhr mit gc-
sträubtem Haar auf den Hof hinaus, das junge
Mädchen schaudertc, Tenreks listiges Gesicht sah ins
Fenster, über seine Züge glitt ein Frohlocken, daS sie
crschrcckte, dann war cr eben so schnell, so plötzlich
wieder verschwunden.

Vor mehreren Stunden schon, jetzt neigte sich der
Tag, — Krafft blieb immer noch aus.

Sie ging langsam in den Garten hinauS, ge-
trieben von einer Unruhe, die sich nicht bannen licß.
Jeder Schritt zeigte die Cchwäche, welche den Körpcr
beherrschte, zuwcilen drehte sich mit ihr alles im
Krcise, aber dennoch bczwang sie sich tapfer.

Fingal horchte, er begann leise zu winseln.

Die matten Händchen streicheltcn daS schwarze
Fell. „Hörst Du seinen Schritt, mcin Thier? —
Geh, bringe ihn hierher, Deine Herrin ist müde zum
Sterben."

Aber der Hund blieb stehen, cr knurrte, cr schien
unsichcr, plötzlich aufspringend stürzte cr mit lautcm
Gebell vvrwärts.

Das war der Augenblick, in welchem das Donnern
eines Schusses weithin durch die Berge dröhnte, —
Sulamith schric aus vor Entsetzen.

„Krafft! — O barmherzigcr Gott, Krafft!"

Und nun stürzte sie vorwärts im halben Jrrsinn,
dem Hochplateau zu, denn es gab keinen anderen Wcg,
dic Stufen hinauf, — zum Todc, zur Freiheit.

Fingal leckte die Hände deZ regungslos Daliegen-
den, sein Klagen tönte erschütternd durch die Stille
ringsumher, er trauerte um einen geliebten Verlorencn,
— Sulamith sah es, che sic neben dem Kreuze auf
ihre Knie sank.

Noch einmal war cs ihr vergönnt, in dle
Augcn des Geliebten zu sehcn, in daS Paradies
ihrer Jugend, ihres GlückeS, — noch cinmal vorm
Scheiden.

Krafft lebte, er gqb Bück um Blick, aber ohne
 
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